COVID-19 hat in so ziemlich allen Bereichen unseres Lebens Veränderungen hervorgerufen – sei es unser Umgang mit sozialen Kontakten, unser Arbeitsalltag, die Abläufe des dienstäglichen Wocheneinkaufs, der Konsum lokaler und globaler Medien, der Austausch mit Familie und Freunden oder unser Freizeitverhalten. Und so, wie zahlreiche Arbeitnehmer ins Homeoffice gegangen sind, müssen die meisten Studierenden dieses Semester – zumindest die erste Zeit – von Zuhause aus lernen.
Das erste Mal musste ich mir Gedanken über die Uni im Zusammenhang mit Corona machen, als es Mitte März plötzlich hieß, meine Klausur, die ich drei Tage später hätte schreiben sollen, würde abgesagt. Es war kurz vor dem Wochenende und es blieben zunächst viele Fragen offen: Ganz abgesagt? Ohne Nachschreibtermin? Für die ganze noch ausstehende Klausurenphase? Oder kommt in einer Woche die Nachricht, dass sie doch noch geschrieben wird? Ganz kurzfristig? Soll man weiter lernen? Oder lieber die unverhofften Ferien genießen?
Ich hatte mich, als es mit „Corona“ los ging, mit meinem Freund zusammen bei seinen Eltern in deren großem Haus auf dem Land einquartiert. Und nachdem ich das Wochenende mit weiterem Lernen und vielen unbeantwortbaren Fragen verbracht hatte, beschloss ich, die unverhoffte freie Zeit zu genießen. Da mein Freund an einer Fachhochschule studiert, hatten wir immer sehr unterschiedliche Semesterferien und es noch nie wirklich geschafft, zusammen frei zu haben. Diese Gelegenheit musste genutzt werden. Zum ersten Mal überhaupt brachte er mich dazu, mit ihm zusammen Computerspiele zu spielen – von morgens bis spät in die Nacht. Als das langweilig wurde, holten wir uns Material aus dem Baumarkt, um eine Hebeeinheit für einen Monitor zu bauen, der auf Knopfdruck im Schreibtisch versinken oder hervorkommen sollte. Außerdem hatte ich wieder Zeit fürs Malen und Zeichnen gefunden. Aber auch für die Uni wurde ab und an etwas gearbeitet: das ein oder andere Projekt oder Fach musste vorbereitet oder bearbeitet werden. Nach einiger Zeit kam dann die Nachricht, dass der Beginn des Sommersemesters um knapp drei Wochen nach hinten verschoben werden und bald hieß es, das Semester würde online stattfinden, vollständig ohne Anwesenheit in der Uni – klasse!
Ich habe von meinem Wohnheim einen Weg von exakt einer Stunde mit der S-Bahn in die Uni. Die Motivation, dorthin zu fahren, sinkt in Anbetracht dieses Aufwandes, wenn man nur ein oder zwei Vorlesungen am Tag hat, wenn mehrere Vorlesungen mit großen Pausen über den ganzen Tag verteilt sind oder wenn die Vorlesungen schlichtweg langweilig sind und man sie eh damit verbringen würde, mit Kommilitonen zu tratschen. Dieses Problem würde ich im Online-Semester nicht mehr haben. Zudem war ich auch vorher schon davon überzeugt, dass aufgezeichnete Vorlesungen wesentlich besser für mich zum Lernen geeignet sind. Die Vorteile liegen auf der Hand: Man kann zurückspulen, pausieren und das naheliegendste: die Vorlesung anschauen, wann und wo man möchte. Selbst wenn ich in der jeweiligen Vorlesung anwesend war, habe ich sie mir oft noch einmal im Nachhinein online angesehen. Einfach, weil ich da wesentlich konzentrierter und motivierter bei der Sache bin. Ich habe mich demzufolge also sehr auf das anstehende Semester gefreut. Nicht zuletzt auch, weil das bedeutete, dass mein Freund und ich das Semester über größtenteils gemeinsam bei seinen Eltern verbringen würden, während wir sonst eine Wochenendbeziehung führen, da er gute 100 Kilometer von mir entfernt wohnt und studiert. Aber sein Semester sollte nun ebenfalls online stattfinden.
Bevor das Semester beginnen sollte, galt es einige Vorbereitungen zu treffen: Kopfhörer, eine bessere Internetverbindung im ganzen Haus, ein großer Schreibtisch mit zwei Schreibtischstühlen für den gemeinsamen Lernplatz, Webcams – solche Dinge mussten vorhanden sein. Und dann ging es los, das Online-Semester. Und damit auch die ewig andauernde Diskussion, ob es nun besser oder schlechter sei als zuvor.
Zunächst lief es sehr gut. Meine Vorlesungen sollten live (über Zoom oder Medialink) stattfinden, jedoch aufgezeichnet und zumindest für einen kurzen Zeitraum zur Verfügung gestellt werden. Ich war sehr motiviert, arbeitete mit, machte Notizen und bearbeitete ausstehende Aufgaben eigenständig nach der Vorlesung, ging Skripte und Übungen durch. In einem Modul, das ich aus dem vorherigen Jahr wiederholen musste, verbesserten sich die Lernbedingungen um ein Vielfaches: Wo vorher in den Hörsaalübungen hastig und viel zu schnell schlecht lesbare Tafelanschriebe (meist fehlerhaft) abgeschrieben wurden, ohne dass Zeit blieb, um Fragen zu stellen, wurden nun ausführlich ausgearbeitete Musterlösungen zur Verfügung gestellt und online Foren gebildet, in denen man Fragen stellen konnte, die gesammelt und in der anschließenden Woche gebündelt beantwortet wurden. Gerade bei diesem Modul war ich sehr erleichtert über das neue Konzept.Dann gingen jedoch Gruppenübungen in einem anderen Modul los. Die Aufgaben sollten mithilfe von OneNote bearbeitet werden und vom Tutor und den Gruppenmitgliedern eingesehen werden können. Ich kam trotz Hilfe nicht mit diesem Tool zurecht. Zudem widerstrebte es mir, in einer Zoom- Session mit anderen, fremden Gruppenmitgliedern zusammengesteckt zu werden, damit wir gemeinsam Aufgaben rechnen sollten. Bei Übungen hat es sich für mich bewährt, diese im Voraus allein oder mit Kommilitonen zu bearbeiten, um in der Übung dem Tutor die Fragen zu stellen, die noch offen geblieben waren. Das war nun nicht mehr ohne Weiteres möglich. Auch wenn die Übungen eine tolle Möglichkeit boten, mit anderen Studierenden in Kontakt zu kommen und diese kennenzulernen, mochte ich das Konzept nicht und entschied, die Aufgaben im Alleingang zu bearbeiten – die Lösungen wurden ja wöchentlich hochgeladen. Das erschwerte mir das Lernen für dieses Modul um einiges. Dennoch konnte ich mich nicht überwinden, die Übungen über Zoom wahrzunehmen. Die Erfahrung mit dieser Übung dämpfte meine Freude über das Online-Semester um einiges. Kannte ich doch sonst kaum jemanden, der das Modul ebenfalls machte und den ich bei Schwierigkeiten hätte fragen können. Ich wurde in dem Modul immer weiter abgehängt – größtenteils, weil ich ein sehr zeitaufwändiges Konstruktionsprojekt zu bearbeiten hatte, aber zu einem nicht unerheblichen Teil auch wegen der mangelnden Kommunikation mit Kommilitonen, die die gleichen oder ähnliche Probleme hatten wie ich.
Und da war ja auch noch eine Klausur, die nachgeholt werden musste. Wenige Wochen nach Semesterbeginn kam die Nachricht, dass die abgesagten Klausuren aus dem März in der ersten Juniwoche nachgeholt würden. Von da an galt es, sich auch für Klausuren mitten im Semester vorzubereiten. Zum Glück hatte ich nur eine davon. Mehr hätte ich sicher nicht geschafft. Ich vertiefte mich ganz und gar in mein Konstruktionsprojekt und in die Klausurvorbereitung. Ich verdrängte, dass ich am Ende des Semesters noch andere Klausuren schreiben würde und dass ich in diesen Modulen wichtige Vorlesungen hatte. Meine gesamte Zeit und Energie steckte ich in das Konstruktionsprojekt, an dem ich im Jahr zuvor gescheitert war und in die Klausur im Juni, die ich mit so viel Zeit zur Vorbereitung in jedem Fall gut bestehen wollte. Mit der Zeit rückte das Bewusstsein, dass man Vorlesungen, Hausaufgaben und Übungen hatte, in den Hintergrund. Nach und nach wurden Vorlesungen und Sprechstunden vergessen und verpasst. Es fehlten die Erinnerungen von Kommilitonen, dass hier und dort noch Veranstaltungen ausstehen. Es fehlten die Fragen, wo man denn gewesen sei, wenn man nicht wie sonst zu einer Vorlesung oder Übung erschienen ist. Und es fehlten eben diese Mitstudierenden, die einem ihre Aufzeichnungen zur Verfügung stellten, falls man doch mal etwas verpasst hatte.An dieser Stelle soll nicht der Eindruck entstehen, dass meine Mitarbeit und mein Engagement in den vorherigen 5 Semestern nicht nach ein paar Wochen nachgelassen hätten. Das ist definitiv nicht der Fall: In jedem Semester stellte sich bisher nach wenigen Wochen eine gewisse Nachlässigkeit ein. Die uninteressanten Vorlesungen wurden gerne mal ausgelassen und die Übungsaufgaben, die teilweise liegen geblieben sind, wurden auch nicht nachgeholt – natürlich nur solange, wie die Klausur in weiter Ferne lag. Und an diesem Punkt kommt es zu einem auffälligen Unterschied zwischen „normalem“ und „online“- Semester. Die Klausuren sind mittlerweile in Sichtweite und viele Modulinhalte wollen noch bearbeitet und gelernt werden. Doch statt, wie üblich, in Panik zu verfallen, hektisch Kommilitonen um Hilfe zu bitten und schlaflose Nächte damit zu verbringen, mich zu fragen, wie ich das alles schaffen soll, bin ich in diesem Semester sehr zuversichtlich. Mir stehen sämtliche Unterlagen zur Verfügung. Es sind zu vielen Übungen ausführliche Lösungen vorhanden. In den Foren stehen gut geordnet und meist recht übersichtlich ein Haufen Fragen, von denen ich sicher bin, dass ich mir diese bei der Klausurvorbereitung ebenfalls stellen werde – beantwortet von wissenschaftlichen Mitarbeitern, Tutoren und den Professoren höchst selbst. Zudem werden Fragen, die man selbst in den Foren stellt, meist innerhalb 24 Stunden beantwortet – auch nach der Vorlesungszeit. Wie könnten die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Klausurvorbereitung besser sein?
Ein weiterer Vorteil am Onlinesemester, den ich hier hervorheben möchte, ist der Effekt, dass man dazu neigt, eher mehr als weniger für die Uni zu arbeiten. In einem „normalen“ Semester verwendet man Zeit dafür, sich auf den Weg in die Uni zu machen. Man bereitet sich vor, packt vielleicht etwas zu essen ein, fährt oder läuft zur Uni, wartet auf Professoren, hört sich die Vorlesung(en) an und geht wieder nach Hause. Dort angekommen, macht man zunächst einmal Pause. Vielleicht geht man zum Sport, zum Einkaufen oder besucht jemanden. Erst danach widmet man sich dem Gedanken, ob etwas für die Uni zu tun ist. Ganz nach dem Motto: ich habe heute ja schon etwas getan. Man war ja immerhin dort und hat den Professoren mehr oder weniger seine Aufmerksamkeit gewidmet. Das alles fällt in diesem „Corona-Semester“ weg. Wenn die Vorlesung kurz nach dem Aufstehen noch im Schlafanzug mit einer Tasse Kaffee in der Hand verfolgt wird, um es überspitzt darzustellen, stellt sich nicht das Gefühl ein, bereits gearbeitet zu haben. Daher zeigt sich eine höhere Bereitschaft, Vorlesungen vor- und nachzubereiten und sich im Anschluss an die Vorlesungen noch mit den behandelten Themen auseinanderzusetzen. Dazu trägt sicherlich auch die Tatsache bei, dass sich momentan weniger Gelegenheiten bieten, sich von der Uni ablenken zu lassen. Es wird in dieser Zeit generell weniger unternommen und weniger Zeit außerhalb von Zuhause und mit anderen Leuten verbracht. Es stellt sich ab und an ein gewisser Grad an Langeweile ein, der dazu beitragen könnte, zum Lernen zu motivieren.
Doch jede Motivation bringt nichts, wenn man schlicht daran gehindert wird, zu lernen und zu arbeiten. Ich habe gleich zu Beginn der Corona-Krise die Möglichkeit genutzt, außerhalb meines Studierendenwohnheims unterzukommen. Dort brach regelmäßig die Internetverbindung zusammen und stunden- oder gar tagelang bestand keine Möglichkeit, das WLAN zu nutzen. Das ist selbstverständlich nicht besser geworden, seit knapp hundert Studierende ihre Zeit größtenteils dort verbringen, da Universitäten und Bibliotheken geschlossen haben und Freizeitaktivitäten auf ein Minimum reduziert werden sollen. Und dann geht es nicht darum, abends keinen Film streamen zu können, sondern darum, tagsüber keine Vorlesungen verfolgen zu können. Seitens der Verwaltung wurde uns Studierenden empfohlen, Vorlesungen, etc. nicht tagsüber zu streamen, sondern doch lieber abends oder sehr früh morgens. Ungünstig für die Studierenden, deren Vorlesungen nicht aufgezeichnet und im Nachhinein zur Verfügung gestellt werden. Zusätzlich zum nervenaufreibenden Vorhandensein oder eben Nichtvorhandensein einer stabilen Internetverbindung, kommt auch die Schwierigkeit hinzu, in einem kleinen Zimmer (10 bis 15 Quadratmeter) auf einem Flur mit durchschnittlich 8 Bewohnern die Ruhe und den Platz zu finden, sich voll und ganz auf seine Unterlagen konzentrieren und effektiv lernen zu können. Ich bin froh, dass ich die Möglichkeit hatte, dem entweichen zu können.
Um meine Erfahrungen und Gedanken zu diesem Thema zusammenzufassen, kann ich nur sagen, dass so ein Online-Semester in Zeiten von Corona durchaus funktionieren kann und durchaus auch Vorteile mit sich bringen kann – wenn die Voraussetzungen stimmen. Ich habe in diesem Semester so viel für die Uni gemacht wie in keinem Semester zuvor. Das liegt sicherlich an den Projekten und Modulen, die nun mal sehr anspruchsvoll und zeitaufwändig sind. Jedoch hätte ich in einem normalen Semester mit Präsenzvorlesungen garantiert weniger gemacht und im Hinblick auf die Klausuren einen höheren Druck verspürt. Das Online-Semester funktioniert für mich größtenteils gut – bis jetzt. Aber auch nur, weil gewisse Voraussetzungen erfüllt sind.Es braucht für ein stressfreies Online-Lernen einfach die Gewissheit einer störungsfreien Internetverbindung – obwohl zwei Studierende teilweise zeitgleich Vorlesungen streamen und parallel dazu jemand im Haus im Homeoffice arbeitet. Es braucht auch genügend Platz, sich ausbreiten zu können mit seinen Unterlagen und dennoch auf Abstand dazu gehen zu können. Zumindest ich muss ab und an die Tür zumachen können und den Rest des Tages abseits des Schreibtisches verbringen können – ohne Laptop, Monitor und Berge an Zetteln sehen zu müssen. Aber gerade das ist in einer Stadt wie Hamburg, in der Studierende gerne die kleinsten und günstigsten Zimmer mieten, oft unmöglich.
Und dennoch, ich finde es sehr spannend, dieses Semester zu erleben – das doch ganz anders ist als alle zuvor. Ich hatte endlich einmal echte Semesterferien, ohne Lernen und anstehende Klausuren. Ich freue mich immer noch über die Zeit, die ich sonst in der S-Bahn verbringen würde und so ganz wundervoll nutzen kann. Ich genieße die Vorlesungen, die ich im Garten in der Sonne anschauen kann und freue mich über die Musterlösungen von Übungsaufgaben, die sonst so schwer zu bekommen sind. Aber ob das schöner ist als der persönliche Kontakt mit Kommilitonen? Das Grillen auf dem Campus im Sommer? Das Beisammensitzen vor dem Hörsaal? Der gemeinsame Austausch im Hörsaal?