Wie soll ich mir das bloß alles merken? (Gastbeitrag von Axel Dürkop) #Notizschreibwochen2020
Als ich Florian für diesen Artikel zugesagt habe, wollte ich über meine Notizgewohnheiten mit dem „Zettelkasten“ von Daniel Lüdecke (s.u.) schreiben. Ich dachte, das ist es, wie ich Notizen mache. Beim Nachdenken über den Text, der jetzt hier steht, ist mir dann aber aufgefallen, dass ich noch einige weitere Hilfmittel bemühe, um mir eigene Ideen und fremde Gedanken zu merken.
Mein Diktiergerät
Mein Diktiergerät ist mir ein treues Hilfsmittel, mit dem ich Ideen im Kleistschen Sinne beim Reden entwickeln kann. Denn nicht immer ist jemand da (und willig), das Unfertige und Spekulative anzuhören, das mir durch den Kopf geht. Oft höre ich mir nicht wieder an, was ich eingesprochen habe, es geht vielmehr um den Vorgang, eine Idee zu konkretisieren, während sie laut ausgesprochen wird. Am liebsten entwickle ich Ideen aber zusammen mit anderen Menschen, da ist so ein Gerät kein Ersatz.
Ein Diktiergerät ist aber auch ein guter Begleiter im Auto, vor allem auf längeren Strecken, wenn das Schreiben nicht möglich ist. Als Regieassistent habe ich auch oft ein Diktiergerät genutzt, um die unzähligen Todos und Gedanken festzuhalten, die oft nicht meine waren. Irgendwann später habe ich alles Eingesprochene abgehört und in schriftlichen Listen geordnet.
Links sammeln und annotieren
Unverzichtbar ist für mich, einen Ort zu haben, wo ich gelesene Webinhalte speichern kann. Denn viel zu oft ist es so, dass ich mich zwar an den Inhalt, aber nicht mehr an die Quelle erinnern kann. Also brauche ich eine Möglichkeit, möglichst unaufwändig eine URL zu speichern. Nachdem ich jahrelang mit Wallabag sehr zufrieden war, weil es mir gelesene Texte im Volltext gespeichert hat, habe ich meine Strategie vor Kurzem geändert. Denn Webinhalte sind nicht immer nur HTML-Seiten, sondern auch Tweets, PDFs und Videos, die sich mit Wallabag nicht gut speichern lassen. Nun bin ich sehr froh mit dem Plugin Bookmarks für meine Nextcloud. Damit lassen sich Links nicht nur speichern, sondern auch annotieren, taggen und in Ordnern sortieren. Und das Beste ist: Mit der gleichnamigen Handy-App werden die Links bidirektional synchronisiert, sodass ich mit der Funktion „Teilen“ auf dem Handy erstmal speichern kann, was ich gelesen habe. Am Rechner mache ich die Links dann „schön“, ergänze z. B. den Titel und mache Annotationen im Feld „Bemerkungen“. Die Suchfunktion des Plugins hat bisher immer geholfen, mit wenigen Erinnerungsfetzen die Quellen wiederzufinden.
Wissenschaftliche Quellen speichern und annotieren
Fürs Alltagslesen ist das Speichern von Links in dieser Weise vollkommen ausreichend. Wenn es mir um das Recherchieren von Themen und Texten geht, zu denen ich etwas Längeres schreiben möchte, reicht es aber nicht mehr aus, weil die bibliographischen Angaben fehlen. Hier nutze ich Zotero, weil Programm und Plattform freie Software sind und auf allen Betriebssystemen laufen. So kann ich Zotero problemlos auch in der Lehre einsetzen.
Zotero hat von Haus aus schon die Funktion, eigenständige und „untergeordnete“ Notizen zu speichern. Damit können einfach Exzerpte verfasst und Notizen zur Tauglichkeit einer Quelle festgehalten werden. Richtig gut wird’s dann mit dem Plugin zotfile für Zotero.
zotfile
Das beste Feature fürs Festhalten von Gedanken beim Lesen ist bei *zotfile* Extract Annotations from PDF files. Nach der Installation des Plugins in Zotero stehen entsprechende Einträge im Kontextmenü einer Quelle zur Verfügung. In Kombination mit dem Feature Sync PDFs with your iPad or Android tablet und bspw. einer Nextcloud ist also folgender Workflow denkbar:
Auf dem mobilen Endgerät gibt es dann entsprechende Apps, die das Markieren und Annotieren von PDFs erlauben.1
Da sich *zotfile* merkt, welche Dateien auf einem Tablet/Handy liegen, können diese jederzeit wieder zurück in Zotero geholt werden.
Natürlich funktioniert der Workflow auch auf dem Rechner ohne das Synchronisieren mit einem mobilen Endgerät. Dann ist das PDF über das Kontextmenü einer Quelle mit „Datei anzeigen“ direkt im Dateisystem aufzurufen und im PDF-Programm zu öffnen. Nach dem Markieren und Annotieren wird die Datei dann zurückgespeichert bzw. überschrieben. Annotationen stehen wie oben beschrieben zum Herauskopieren zur Verfügung. Mein Favorit hierfür ist unter Linux das Programm Okular.
Nach dem Extrahieren der Annotationen kommentiere ich diese manchmal noch und verwende sie im „Zettelkasten“.
Zettelkasten
Zettelkastensysteme gibt es mittlerweile einige, die u.a. auf zettelkasten.de samt Methodenpool vorgestellt oder auch im Slackkanal research hacking diskutiert werden. Die bekanntesten Poweruser von Zettelkastenmethoden sind sicherlich Arno Schmidt und Niklas Luhmann, für deren Werk ihre Notizsammlungen und -systeme eine ganz besondere Rolle gespielt haben. Sehr lesenwert hierzu ist Luhmanns eigene Reflektion seines Zettelkastens im dem Text „Kommunikation mit Zettelkästen – Ein Erfahrungsbericht“ (Luhmann, 1992).
Ich verwende den Zettelkasten von Daniel Lüdecke nicht wegen des Überraschungseffekts und der „kommunikative[n] Kompetenz“ (ebd., S. 53f.), von der Luhmann spricht. Dafür habe ich gar nicht genug Zettel, als dass sich dieser Effekt äußern könnte. Vielmehr sind es die folgenden Funktionen, die ich beim wiss. Schreiben mit dem Zettelkasten schätze:
- Der Zettelkasten unterstützt Markdown für Notizen.
- Notizzettel können auf beliebig vielen „Schreibtischen“ zu längeren Textkorpora arrangiert und damit auch versioniert werden.
- Der Zettelkasten erlaubt den Export von Schreibtischen, also Zettelarrangements, in Markdown.
Der Zettelkasten kommt mit einer eigenen Literaturverwaltung, die ich aber nie verwendet habe. Stattdessen referenziere ich meine Quellen aus einem BibLaTeX-Export von Zotero, der ständig aktualisiert wird. Hendrik Erz, der Entwickler von Zettlr, beschreibt die Einrichtung von Zotero dafür gut in der Dokumentation seines Editors. In meinen Zetteln verwende ich dann die pandoc-Notation für Zitationen (dort: „Citation syntax“), weil ich meinen Markdown-Export vom Zettelkastenschreibtisch mit pandoc weiterverarbeite. Daniel Lüdecke hat das Wesentliche dieses Workflows in einem eigenen Blogbeitrag mit Screenshots dokumentiert.
Auch wenn der „Zettelkasten“ mittlerweile technisch und ästhetisch in die Jahre gekommen ist, will ich ihn nicht missen, vor allem, weil ich mich an den Workflow gewöhnt habe. Sehr vielversprechend finde ich den Ansatz einer integrierten wissenschaftlichen Schreibumgebung, wie sie besagter Editor Zettlr verfolgt. Auch hier gibt es ein System zum Verfassen von Notizen als Zettel. Dieses habe ich aber noch nicht produktiv für einen Text verwendet.
Fazit
Notizen zu machen, ist für mich wesentlich. Dabei verwende ich unterschiedliche Tools und Techniken, um einerseits Ideen und andererseits Exzerpte, Zitate und Quellen zu speichern und zu rekombinieren. Dass die Software dafür frei und quelloffen ist, versteht sich für mich von selbst. Am liebsten hoste ich sie selbst, wenn sie auf einem Webserver laufen muss.
Eine bisher nicht geschlossene Lücke gibt es aber noch in meinen Workflows: Wenn ich mit Papierbüchern auf der Couch liege, gibt es immer noch nichts Gescheites, mit dem ich meine Anmerkungen in dieser Lage digital festhalten kann. Das Tippen auf dem Handy regt mich auf, weil ich so langsam bin, und das Schreiben auf einen Block o.ä. bricht mit dem restlichen digitalen Workflow. In der Konsequenz sitze ich dann spätestens wieder am Schreibtisch, wenn ich die erste Notiz zum Text machen will. Für die Couch bleiben dann aber immer noch Romane und die Tageszeitung.
Fußnoten
1 Unter Android wurde die Entwicklung meines Favoriten MuPDF 2017 leider wegen Sicherheitslücken eingestellt. Ein quelloffener Nachfolger, Librera PRO, wirbt zwar mit dem Feature Annotationen, die bekomme ich aber leider nicht zum Laufen. Wer eine App unter Android kennt, mit der beschriebene Workflow funktioniert, könnte diese bitte in die Kommentare schreiben :-).
Referenzen
Luhmann, N. (1992). Kommunikation mit Zettelkästen: Ein Erfahrungsbericht. Universität als Milieu (S. 53–61). Bielefeld: Haux.
Über den Autor
Axel Dürkop absolvierte erfolgreich ein Studium der Philosophie und Germanistik in Hamburg. Währendessen und anschließend arbeitete er insgesamt zehn Jahre als Regisseur, Musiker und Darsteller an deutschen Stadt- und Staatstheatern, auch mit Kindern und Jugendlichen.
Er pflegt seit seiner Jugend eine Leidenschaft für Programmiersprachen, Software und Computer, weil sie wie die Bühne das Potenzial haben, die Welt zu verändern.
Seit mehr als zehn Jahren lehrt Axel Dürkop Themen der Informatik aus einer technischen und philosophischen Perspektive. Er ist leidenschaftlicher Autodidakt und lebensbegleitender Lerner. In seiner gegenwärtigen Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Hamburg liegt sein Fokus auf der Erforschung und Gestaltung von Offenheit in Forschung, Lehre und Gesellschaft.
Weiternutzung als OER ausdrücklich erlaubt: Dieses Werk und dessen Inhalte sind – sofern nicht anders angegeben – lizenziert unter CC BY 4.0. Nennung gemäß TULLU-Regel bitte wie folgt: „Wie soll ich mir das bloß alles merken? (Gastbeitrag von Axel Dürkop) #Notizschreibwochen2020“ von Axel Dürkop, Lizenz: CC BY 4.0. Beitragsbild „Notizwerkzeuge“ von Florian Hagen (CC BY 4.0). Der Beitrag steht als Markdown-, DOCX- und PDF-Datei zur Verfügung.