Wand mit Notiztipps

Geschichte und Gegenwart meiner Notizen (Gastbeitrag von Benjamin Roers) #Notizschreibwochen2020

Luft nach oben

Wenn ich mich richtig erinnere, dann habe ich mir den größten Teil meines Studiums keine großartigen Gedanken darüber gemacht, wie ich Informationen nachhaltig, d. h. strukturiert, wiederauffind- und verwertbar dokumentiere. Nur selten habe ich Exzerpte zu einzelnen Texten angefertigt, um sie dann am Semesterende doch bloß irgendwo abzuheften.

Für Hausarbeiten sammelte ich meine Literaturnotizen zunächst in einem einzelnen Dokument. Wenn ich dann zu schreiben begonnen hatte, sortierte und kopierte ich mir relevante Angaben einfach dort in meine Textdatei, wo ich sie brauchte. Welche absurden Relationen das annehmen konnte, war mir gar nicht mehr bewusst, bis ich mich an einen Tweet von mir erinnerte (siehe Abb. 1).

Tweet zu Notizen einer Hausarbeit.

Abb. 1: Tweet zu Notizen einer Hausarbeit.

In Sachen Schreibpragmatik war also noch Luft nach oben.

Keine Lust mehr, alles manuell zu tippen

Zumindest hatte ich mich zu dieser Zeit schon mit Literaturverwaltungssoftware beschäftigt. Ich hatte keine Lust mehr, meine Literaturrecherchen in Word-Dateien zu dokumentieren, Fußnoten und Verzeichnisse manuell zu tippen und am Ende jeder Hausarbeit mindestens einen halben Tag für die formale Kontrolle einzuplanen. Meine Idee war: Wenn ich mir einmal die Zeit nehme, um mich konzentriert in eine Literaturverwaltungssoftware einzuarbeiten, werden die kommenden Schreibprojekte sehr viel einfacher sein. Ich entschied mich damals konkret für die Software Zotero, weil es eine Freie und Open Source Software ist und mir die Idee dahinter sehr gefiel (tut sie heute noch).1

Mein Plan, durch die Nutzung eines Literaturverwaltungsprogramms komfortabler arbeiten zu können, ging jedenfalls auf. Mit Zotero war ich schnell vertraut und zum Schluss hatte ich mir in ein paar Tagen (und Nächten) im CSL-Editor auch noch einen eigenen Zitierstil zurecht gebaut. Für mich als Laien war das mitunter nervenaufreibend, weil furchtbar kompliziert. Aber es hat sich gelohnt: Meinen damals individualisierten Zitierstil benutzen ich und ein paar Kommiliton:innen heute noch.

Von da an war Zitieren eigentlich kein großer Aufwand mehr. In Word hatte ich mir entsprechende Tastenkürzel eingerichtet mit denen sich Fußnoten mit ein paar Handgriffen setzen ließen. Abschließend dann noch mit einem Click ein Literaturverzeichnis erstellen und das Referenzsystem der Arbeit war im Wesentlichen korrekt. Wichtig ist dafür nur, dass die Angaben in der Zotero-Datenbank korrekt, d.h. einheitlich und vollständig sind.

Trial & Error

In Zotero begann ich dann auch bald, meine Literaturnotizen und Exzerpte zentral zu sammeln. Im Gegensatz zu meiner früheren Technik, bei der alle Notzien in einer Datei untereinander aufgelistet waren, hatte ich nun alles dem jeweiligen Literatur-Datensatz zugeordnet. Bei der Vorbereitung für Hausarbeiten war das hilfreich, weil strukturierter und übersichtlicher.

Am Schreibprozess selbst änderte das allerdings nichts. Denn sobald ich damit begann, zog ich alles wieder in eine Textdatei und baute davon ausgehend meinen eigenen Text. Eine Masterarbeit von etwa 100 Seiten ließ sich auf diese Weise noch erfolgreich produzieren. Aber spätestens beim nächsten Schritt, einer Dissertation mit 250 bis 300 Seiten, würde dieses System an seine Grenzen stoßen, dachte ich.

Womit wir im Grunde in der Gegenwart angekommen wären. Denn seit ca. einem Jahr bin ich jetzt in einem Trial & Error-Prozess dabei, ein für mich angenehmes, praktikables und zielführendes Wissensmanagement zu entwickeln. Dieses besteht derzeit aus einem digital-analogen Mix aus handschriftlichen bzw. getippten Notizen, dem Markdown-Editor Zettlr und Zotero. Das dazugehörige Konzept sieht drei Schritte vor, die ich nun kurz skizzieren möchte.

Let’s get concrete

Schritt 1: Lesen und Notieren

Texte lese ich in entweder analog (Buch/gedruckter Scan) oder digital (auf dem Tablett). Dabei habe ich immer einen Stift in der Hand, um Markierungen und Randnotizen zu machen. 2 Diese Randnotizen haben sich im Laufe der Jahre standardisiert und entsprechen den gängigen wissenschaftlichen Strukturkategorien. 3

STRUKTURKATEGORIE VERBUNDENE FRAGE / ERLÄUTERUNG NOTIZ AM TEXTRAND
Thema/Gegenstand Worum geht es allgemein? Thema
Fokus Worum geht es im Speziellen? Fok.
Fragestellung Was soll herausgefunden werden? F
Defintion Wie genau werden zentrale Begriffe verstanden? Def.
Ziel Was ist das Ziel des Textes? Was möchte er herausfinden, zeigen, infragestellen o.ä.? Ziel
These/n Was ist/sind die Antwort/en auf die Fragestellung? T bzw. T1, T2, …
(Histroische) Quellenbasis Mit welchem Material wird gearbeitet? An welches Material richtet sich die Fragestellung und werden Thesen abgeleitet? Q
Methode/Theorie Mit welcher Perspektive und welchem „Werkzeug“ nähert sich der Text dem Thema? Wie und auf welcher gedanklichen Grundlage wird die Fragestellung beantwortet? M/T
Forschungsstand Was wurde zum Thema bzw. zum speziellen Fokus bislang an wissenschaftlicher Literatur veröffentlicht, auf die der Text aufbaut? Fs
Angekündigtes Vorgehen Wie geht der Text im Einzelnen vor? Welche Schritte unternimmt der Text in seinem Verlauf? Vorgehen
Kernaussagen Was sind die zentralen Aussagen des Textes?
Für mich besonders relevant Was ist darüber hinaus für mich, mein Projekt, meine eigene Fragestellung bzw. mein persönliches Interesse von Bedeutung? ! bzw. Diss.

Tab. 1: Strukturkategorien für Randnotizen.

Sobald ich einen Text auf diese Weise gelesen und erschlossen habe,4 schreibe ich mir zumindest alles heraus, was für meine Dissertation oder meine jeweilige Frage(n) an den Text wichtig ist.5 Das tue ich meist in Form einer Liste, an deren Anfang die Literaturangabe des Textes steht. Hinter den einzelnen Punkten stehen dann auch immer Textverweise. Falls mir später etwas unklar ist oder ich den Punkt nochmal vertiefen will, weiß ich, wo genau ich gucken muss. Wenn ich einen Text nicht nur in Bezug auf mein eigenes Interesse, sondern darüber hinaus auch in seiner Grundargumentation genau dokumentieren will, schreibe ich ein Exposé. Dabei orientiere ich mich an den oben aufgeführten Strukturkategorien.

Nahezu alle meine Aufzeichnungen speichere ich digital und hefte sie darüber hinaus als analoge Ausdrucke in einem Ordner ab. Denn obwohl ich viel digital mache, bin ich ein eher haptischer Mensch. Tatsächlich kann ich auch auf Papier gedruckte Texte immer noch besser lesen als digitale.

Schritt 2: Verzetteln

Als nächstes werden die Notizen in Zettlr „verzettelt“, d.h. dass ich jeden relevanten Gedanken aus seinem ursprünglichem Textzusammenhang herauslöse und für jeden in eigenen Worten eine Einzelnotiz schreibe.6 Um die Notizen zu sammeln und zu organisieren, habe ich mir in Zettlr einen Zettelkasten angelegt.

Dort lassen sich die einzelnen Notizen auch verschlagworten und über IDs individuell miteinander verknüpfen. Auf diese Weise entsteht ein großes, sich stets erweiterndes und dynamisch aufeinander beziehendes Netz an Informationen. In meinem Zettelkasten sammele ich nicht nur meine Literaturnotizen, sondern grundsätzlich alle interessanten Gedanken, Ideen und Überlegungen. Der Einfachheit halber habe ich mir eine Zettel-Vorlage gebaut7 auf der jede Notiz beruht (siehe Abb. 2).

Zettelvorlage für Notizen.

Abb. 2: Zettelvorlage für Notizen.

Schritt 3: Pflegen der Zotero-Datenbank

Literatur sammele ich in Zotero – meistens schon im Rahmen der Recherche. Zunächst sortiere ich alle Einträge einem Projekt- und darin einem bestimmten thematischen Unterordner zu. Sobald ein Text für den weiteren Arbeitsverlauf relevant wird, schaue ich, dass der Eintrag einheitlich und vollständig ist. Wie gesagt, ist das die Voraussetzung dafür, dass auch die späteren Verweise im Text korrekt sind.

Anschließend versehe ich jeden Zotero-Eintrag mit Hashtags, die den jeweiligen Bearbeitungsstatus anzeigen und in Form eines farbigen Kästchens auch in den Einträgen auftauchen (siehe Abb. 3).

Farben Bearbeitungsstatus

Abb. 3: Farben zeigen in Zotero den jeweiligen Bearbeitungsstatus.

HASHTAG BEDEUTUNG
#liegt vor Der Text liegt in analoger oder digitaler Form zum Lesen bereit
#gelesen Ich habe den Text gelesen und durch Markierungen erschlossen
#exzerpiert Ich habe alles relevante aus dem Text herausgeschrieben
#verzettelt Ich habe mein Exzerpt in Zettl „verzettelt“
#eingepflegt Inhalte/Bezüge auf den Text finden sich in meinem Fließtext

Tab. 2: Bedeutung des jeweiligen Bearbeitungsstatus.

Im besten Falle habe ich einen Text dann also gelesen, alle für mich wichtigen Dinge herausgeschrieben und daraus verschlagwortete Einzelnotizen generiert. Zusätzlich habe ich in Zotero den Überblick darüber, welcher Text in welchem Stadium der Bearbeitung ist. Wofür ich bislang noch keine wirklich praktische Lösung gefunden habe: Meine Zettel übersichtlich und trotzdem flexibel in einen Fließtext zu übersetzen.

Fließtext: Theorie und Praxis

In Bezug auf Zettelkästen wird üblicherweise empfohlen, Gedanken und Argumente „inside the box“8, also entlang der bestehenden Zettel zu entwickeln. Indem immer mehr einzelne Zettel inhaltlich miteinander in Beziehung gesetzt werden, entsteht ein wachsendes Netzwerk an Informationen: Gewissermaßen ein großer, auf der Verknüpfung von Einzelgedanken basierender , Gedankenkomplex.

Soll aus diesem netzartigen Wissensspeicher nun ein linearer Fließtext zu einem bestimmten Aspekt entstehen, wird zunächst eine passende Gliederung entworfen. Anschließend werden alle für den Text relevanten Zettel identifiziert und entlang der Gliederung in eine sinnvolle Reihenfolge gebracht. Zum Schluss sind die Gedanken auf den einzelnen Zetteln dann nur noch durch kurze Übergangstexte miteinander zu verbinden und fertig ist der Fließtext. Soviel zur Theorie.

In der Praxis fehlt mir bislang noch die Übung, meine Texte auf diese Weise „inside the box“ zu entwickeln und zu schreiben. In Sachen Fließtextproduktion fühle ich mich gerade in Microsoft Word noch immer am wohlsten. Ich benutze die Anwendung schon lange und habe mich einfach an die klar umgrenzen Seiten und hübsch vorformatierten Texte gewöhnt. Am Ende des Tages habe ich dann auch einen besseren Eindruck davon, was ich geschafft habe.

Außerdem ist es in der Geschichtswissenschaft üblich, Referenzen in Fußnoten anzugeben. Und das bekomme ich mit meinen Zotero-Kurzbefehlen in Word immer noch einfacher hin, als in Markdown. Hier empfinde ich das Setzen von Fußnoten als sehr umständlich. Hinzu kommt, dass ich als Historiker neben wissenschaftlichen Texten ja auch mit historischen Primärquellen, also z.B. Zeitungsartikeln aus den 1950er Jahren, arbeite. Ob, und wenn ja, wie ich die in meinen Zettelkasten mitberücksichtigen kann bzw. möchte, weiß ich noch nicht.

Cowabunga!

Ganz ausgefeilt ist mein Konzept also nicht nicht. Ob es das jemals sein wird? Mal gucken. Ob ich bei der jetzigen Methode bleibe? Vermutlich nicht. Solange meine Inhalte nicht verloren gehen, ist alles in Ordnung. Vielleicht werden sie im Laufe des Prozesses unterschiedlich entstehen oder verschiedene Formate durchlaufen. Das ist okay. Letztlich habe ich Lust und finde es wichtig, meine Arbeitsmethoden – und damit die Art und Weise, wie ich Wissen produziere – fortlaufend zu reflektieren und neues auszuprobieren. In diesem Sinne: Cowabunga!

 


Endnoten

1 Zotero wurde am Roy Rosenzweig Centre for History and New Media an der George Mason University entwickelt. Von dort stammen auch andere tolle Tools wie Tropy, mit dem sich historisches Quellenmaterial organisieren und individuell erschließen lässt; sowie Omeka, eine Software zum Erstellen von Onlinearchiven. Auf Omeka läuft auch das coronarchiv, ein Projekt zum Sammeln von Erlebnissen und Eindrücken zur Corona-Pandemie. Tragt doch gerne etwas dazu bei!
2 Selbst beim nicht-wissenschaftlichen Lesen habe ich zumindest immer einen Stift griffbereit, falls ich z.B. ein gutes Zitat oder einen spannenden Gedanken finde.
Ein ganz ähnliches System schlagen auch Thieme und Weiß vor: Thieme/Weiß 2020, S. 44–47.
4 Das Thema wissenschaftliches Lesen ist vielschichtig und wäre mindestens einen eigenen Beitrag wert. Zum Glück haben andere Menschen aber schon sehr viel nützliches darüber geschrieben. Hilfreich finde ich z. B. Otto Kruse: Lesen und Schreiben. Der richtige Umgang mit Texten im Studium. Konstanz 2010, sowie Sarah Thieme/Jana Weiß: Lesen im Geschichtsstudium. Opladen/Toronto 2020.
5 Dafür macht es Sinn, sich zuvor über den jeweiligen Anlass des Lesens klar zu sein: Lese ich den Text z.B., um seine Gesamtargumentation im Seminar zu besprechen oder weil ich eine ganz bestimmte Information für meine Hausarbeit brauche? Siehe hierzu auch Thieme/Weiß (2020), S. 19 f.
Siehe Söhnke Arendts: Das Zettelkasten-Prinzip: Erfolgreich wissenschaftlich Schreiben und Studieren mit effektiven Notizen. Norderstedt 2017, S. 83–98. Das wesentlich an die Arbeitsmethode Niklas Luhmanns angelehnte „Zettelkasten-Prinzip“ finde ich in Sachen „effektive wissenschaftliche Notizen“ insgesamt sehr inspirierend.
Dabei habe ich mich wiederum an Ahrend (2017) orientiert.
8 Ahrend (2017), S. 115.

Über den Autor:

Benjamin Roers hat Geschichte und Philosophie an der Universität Hamburg studiert und war dort u. a. als studentische Hilfskraft im Arbeitsfeld Public History aktiv. Seit April 2019 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am International Graduate Centre for the Study of Culture (GCSC) der Justus-Liebig-Universität Gießen. Die meisten Notizen sammelt er für seine Dissertation zu Mensch-Tier-Beziehungen im Zirkus im 20. Jahrhundert.


CC BY 4.0
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