Was ist eigentlich Peer Review?

By Sarahmirk (Own work) [CC BY-SA 4.0], via Wikimedia Commons. Aufgenommen am 22. April 2017 beim „March for Science“ vor der Humoldt-Universität in Berlin. Ausschnitt aus dem Origial.

Im Zusammenhang mit dem Veröffentlichen von wissenschaftlichen Aufsätzen taucht immer wieder der Begriff „Peer Review“ auf. Was bedeutet er eigentlich?

Zunächst, was sind eigentlich Peers? Peers sind auf gleicher Stufe oder Ebene befindliche Berufskolleg*innen, auch Betreuende, Freunde usw., die in irgendeinem Zusammenhang zu einem Menschen stehen, für den sie Peer sind. In der wissenschaftlichen Kommunikation erfolgt bei der Begutachtung von Zeitschriftenaufsätzen, die zur Veröffentlichung von den Autor*innen eingereicht wurden, ein sogenanntes Peer Review. Dieses bewertet die Aufsätze, ob sie thematisch in die jeweilige Zeitschrift passen, ob sie inhaltlich etwas Neues bringen, ob Wesentliches fehlt, ob sie dem wissenschaftlichen State-of-the-Art entsprechen oder ob sonst etwas auffällt. Peer Review ist also ein wesentliches Werkzeug der Qualitätskontrolle beim Publizieren wissenschaftlicher Forschung.

Gutachtende, also hier die Peers, sind Wissenschaftler*innen, die meistens innerhalb des gleichen Fachgebiets arbeiten und fachlich den Inhalt auch bewerten können sollten. Beim sogenannten Double-Blind-Peer-Review erfahren weder Begutachtende noch Autor*innen, wer der jeweilige Gegenpart ist. Bei wichtigen Zeitschriften werden Aufsätze in der Regel von zwei Peers begutachtet, es kann aber auch nur einer sein. Manchmal entscheiden auch die Herausgeber einer Zeitschrift allein, ohne dass weitere Peers eingeschaltet werden. Letztlich entscheidet das Peer Review über die Annahme eines Artikels, macht vielleicht auch Verbesserungsvorschläge. Oft müssen Texte nochmals überarbeitet werden, oder es müssen manchmal weitere experimentelle Daten erhoben werden, um die Aussagen des Artikels zu stützen.

Übrigens funktioniert letztlich auch Wikipedia nur aufgrund von Peer Review, wobei hier die Peers weltweit alle Nutzenden von Wikipedia sind. Prinzipiell können alle Nutzenden Wikipedia-Artikel begutachten und ggf. auch verändern. Wikipedia ist damit auch ein Beispiel für eine Form von offenem Peer Review, bei dem Einblick in die Begutachtung und auch eine Beteiligung möglich ist.

Kritiker „bemängeln, das gerade das Fehlen von Transparenz und Öffentlichkeit Fehlurteile produziert. Manche Platzhirsche entpuppen sich unter dem Deckmantel anonymer Kollegenkritik als regelrechte Berserker, die Neulinge und Querköpfe herausschießen, ohne für schlampige und einseitige Gutachten Konsequenzen befürchten zu müssen, oder sie zögern die Begutachtung eines Artikels um Monate hinaus, um dessen zeitige Publikation zu verhindern.“ (Leggewie, Claus, und Elke Mühlleitner. 2007. Die akademische Hintertreppe : Kleines Lexikon des wissenschaftlichen Kommunizierens. Frankfurt a.M.: Campus-Verl., S. 204)

Dass die Kritik und Diskussion um das Peer Review seit den ersten Ursprüngen desselben nicht verstummt ist, zeigen aktuelle Aufsätze von Alex Csiszar („Peer Review: Troubled from the Start“ (Nature 532 (2016) 7599: 306–8. Nur im TUHH-Intranet) sowie von Noah Moxham und Aileen Fyfe („The Royal Society and the Prehistory of Peer Review, 1665–1965“. The Historical Journal, November 2017, 1–27. Post-Review Preprint).

Wer es noch genauer und noch mehr zum Peer Review wissen will, findet im Artikel „Peer-Review“ des Handbuches „CoScience – Gemeinsam forschen und publizieren mit dem Netz“, das unter der Lizenz CC BY 4.0 veröffentlicht ist, weitere Hinweise:

Inhalt: 1 Was ist Peer Review und warum ist es wichtig? 2 Wie läuft das Peer-Review-Verfahren ab? 3 Was passiert nach dem Peer Review? 4 Läuft ein Peer-Review-Verfahren immer gleich ab oder gibt es Varianten? 5 Welche Kritik am Peer Review gibt es? 6 Warum wird trotz Kritik am Peer Review festgehalten? 7 Einzelnachweise

Vermeiden Sie Wissenschaftspossen!

Leider gibt es keinen Ort, an dem verzeichnet ist, ob ein bestimmtes wissenschaftliches Thema schon mal bearbeitet wurde oder nicht! Nur gründliches Recherchieren vermeidet Doppelarbeit und erhöht die eigene Sicherheit, dass man nichts übersieht!

In einem Bericht des „Spiegel“ aus dem Jahre 2007 ist ein solcher Fall von Doppelarbeit unter dem Titel „Wissenschafts-Posse: Ahnungslose Chemiker entdecken Verbindung zum zweiten Mal“ (Jens Lubbadeh, 6.12.2007) populär aufbereitet worden. Auch in der Zeitschrift Nature wurde darüber berichtet: Katharine Sanderson: Where have I seen that before? 103-year-old chemical reaction pops up again (4.12.2007).

Die Veröffentlichung einer japanischen Forschergruppe (Yamaguchi, I.; Gobara, Y.; Sato, M. One-pot synthesis of N-substituted diaza[12]annulenes. Org. Lett. 2006, 8 (19), 4279–4281) postulierte die Herstellung eines neuen Ringmoleküls aus 10 Kohlenstoff- und zwei Stickstoffatomen. Darauf aufbauend erschien danach ein Artikel einer amerikanischen Forschergruppe (Shi, L.; Lundberg, D.; Musaev, D. G.; Menger, F. M. [12]Annulene gemini surfactants: structure and self-assembly. Angew. Chem. Int. Ed. Engl. 2007, 46 (31), 5889–5891).

Zincke, T. Justus Liebigs Ann. Chem. 1904
Der deutsche Chemiker Christl fand heraus, dass die vermeintliche Neuentdeckung schon vor mehr als 100 Jahren in der Literatur vom deutschen Chemiker Theodor Zincke beschrieben wurde: Zincke, T. Ueber Dinitrophenylpyridiniumchlorid und dessen Umwandlungsproducte. Justus Liebigs Ann. Chem. 1904, 330 (2), 361–374.

Die Japaner haben letztendlich ihren Artikel zurückgezogen. Die amerikanische Forschergruppe hat ein Corrigendum veröffentlicht: Shi, L.; Lundberg, D.; Musaev, D. G.; Menger, F. M. [12]Annulene gemini surfactants: structure and self-assembly. Angew. Chem. Int. Ed. 2007, 46 (48), 9135.

Der deutsche Chemiker Christl hat dann noch seinen Korrekturhinweis in der Angewandte Chemie (Christl, M. 1,7-Diaza[12]annulene derivatives? 100-year-old pyridinium salts! Angew. Chem. Int. Ed. Engl. 2007, 46 (48), 9152–9153) publiziert.
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Am Schluss des Spiegel-Artikel wird die spannende Frage „Wie konnte eine 102 Jahre alte Entdeckung einfach übersehen werden – obwohl jeder Artikel von externen Gutachtern der Fachmagazine geprüft wurde?“ kurz diskutiert.

Was kann man noch aus diesem Lehrstück der Wissenschaftskommunikation lernen?

  • Die nicht mehr funktionierenden Links auf die Originalveröffentlichungen im Spiegel demonstrieren die Bedeutung und Wichtigkeit von Identifyern, z.B. DOIs, für digitale Objekte bzw. Dokumente.
  • Schon zu Zeiten von Zincke dachte man über Institutionen und Werkzeuge nach, das Weltwissen an einer Stelle zu sammeln, eindeutig zu ordnen und dauerhaft verfügbar zu machen, ein Traum, der wohl kaum in Erfüllung gehen wird. Zu diesen Aktivitäten finden Sie weitere Hinweise in einem Blog-Artikel der TU-Bibliothek mit dem Titel „Weltenzyklopädien vor 100 Jahren, der 2011 anläßlich des 10. Geburtstages von Wikipedia erschienen ist.

Publizieren per Mausklick

In Zeitschriften und Konferenzbänden renommierter Verlage wurden vor kurzem computer-generierte Beiträge entdeckt, wie ein Beitrag in der Zeitschrift „Nature“ berichtete. Anscheinend konnte die eigentlich übliche Qualitätssicherung via Peer Review dies nicht verhindern (vgl. den Kommentar von Ulrich Herb bei heise.de!).

2014-03-17 15_00_59-SCIgen - An Automatic CS Paper Generator

Auch der Autor dieses Blog-Beitrages hat mit der verwendeten Software SciGen einen spannenden Artikel geschrieben. Mal sehen, ob ich einen Verlag finde, der diesen publiziert? 😎

Das wissenschaftliche Arbeiten verbessern?!

Rettet die Wissenschaft - Zeit online

„Rettet die Wissenschaft“ heisst es in der aktuellen Ausgabe der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“ (Nr. 1, 27.12.2013, S. 33-36). Der Artikel ist auch online verfügbar. Dargestellt werden die Herausforderungen des aktuellen Wissenschaftsbetriebs wie das Peer Review und oder der Druck beim Publizieren (Publish & Perish). Es werden Vorschläge zur Verbesserung der Forschung gemacht und eine schöne Infografik veranschaulicht den Publikationsprozess.

Aus dem Fazit:

„An den unterschiedlichsten Stellen suchen Forscher schon nach Lösungen [zur Verbesserung der Forschung, genannt werden im Text „Aufdecker“, „Fallensteller“,“Replikateure“, „Fehlerjäger“, Negativpublizisten“ und „Reformatoren“ T.H.], sie investieren Mühe und (Frei-)Zeit, probieren neue Ideen aus. Jetzt muss aus den einzelnen Initiativen ein ernsthafter Umbau werden. Klar ist, die Qualitätskontrolle gehört auf viel mehr Schultern verteilt als bisher, der gesamte Prozess muss transparenter sein. Allein die schiere Masse an Forschern und Ergebnissen macht das nötig – und die digitale Vernetzung macht es möglich.“ (S. 35)