Viele moderne Aspekte des Informationswesens und des weltweiten Sammeln von Information und Wissen haben eine Geschichte, so auch die Grundidee der Wikipedia, die die TUHH-Bibliothek mit einer kleinen Reihe an Blog-Beiträgen anläßlich des 10. Geburtstages von Wikipedia behandelt. Ein Blick in die Frühgeschichte der modernen Informationsgesellschaft macht im Sinne des Kulturhistorikers Peter Burke das “ehemals Vertraute fremd […] und das ehemals Natürliche willkürlich.”
Beispiele für Aktivitäten der Vergangenheit, deren Ziel und Anspruch ähnlich waren wie diejenigen der heutigen Wikipedia:
- Eine Mittelschweizerische Geographisch-Commercielle Gesellschaft versuchte von 1884 bis 1905 im schweizerischen Aarau erst “die ganze Welt” zu sammeln und beschränkte sich dann als eines der ersten Museen auf Fotografien. [2,5]
- Eine vom Schweizer Karl Bührer gegründete „Internationale Mono-Gesellschaft“ wollte ab 1905 bis ca. 1910 durch die Herausgabe von kleinen, mit Werbung versehenen Karten (Reklamebildern) in standardisiertem Format eine Welt-Enzyklopädie zum Sammeln schaffen.[5]
- Pioniere des modernen Informationswesens wie der Belgier Paul Otlet und der Chemie-Nobelpreisträger Wilhelm Ostwald versuchten vor und nach der Wende zum 20. Jahrhunderts, die Informationsflut und Bildungsprobleme der ‘frühen Informationsgesellschaft’ durch (welt-)umfassende Aktivitäten und Visionen anzugehen, um eine Art von „Internet auf Papier“ zu schaffen. [4, 5, 6]
- Eine Institution mit dem Namen „Brücke – Internationales Institut für die Organisierung der geistigen Arbeit“ wollte von 1911 bis 1914 als „Gehirn der Welt“ internationale Organisations- und Vermittlungsstelle werden. Ein Handbuch der Zukunft sollte ähnlich wie die Wikipedia heute, das Wissen der Zeit jederzeit abrufbar auf Karteikarten aktuell halten. [3, 5, 6]
- Die Förderung des Lernens mit neuen Medien und die Visualisierung bei Vorträgen war das Ziel einer 1922 gegründeten Technisch-Wissenschaftlichen Lehrmittelzentrale (TWL), die als „Archiv des technischen Fortschritts“ hauptsächlich Diapositive sammelte. [5]
- Medien zu Paul Otlet, Wilhelm Ostwald sowie zur Geschichte des Informations- und Bibliothekswesens im TUHH-Bibliothekskatalog.
- Fernschau. Global : ein Fotomuseum erklärt die Welt (1885-1904) / hrsg. von Markus Schürpf. Baden : hier + jetzt, 2006. Schlagwörter: Mittelschweizerische Geographisch-Commercielle Gesellschaft / Photographie / Geschichte 1885-1905 / Sammlung / Ausstellung / Aarau
- Rolf Sachsse: Das Gehirn der Welt 1912 – Die Organisation der Organisatoren durch die Brücke : Ein vergessenes Kapitel Mediengeschichte. Telepolis 1998.
- Frank Hartmann: Von Karteikarten zum vernetzten Hypertext-System : Paul Otlet, Architekt des Weltwissens – Aus der Frühgeschichte der Informationsgesellschaft. Telepolis 2006.
- Thomas Hapke: Von der “Weltausstellung im Kleinen” zum “lebenden Lehrbuch” : Bildungsbezogene Komponenten früher Ansätze von Weltbibliotheken um 1900. In: Rainer Koschke u.a. (Hrsg.) INFORMATIK 2007 – Informatik trifft Logistik, Band 2, Beiträge der 37. Jahrestagung der Gesellschaft für Informatik e.V. (GI). Bonn: Gesellschaft für Informatik, 2007. S. 485-490.
- Thomas Hapke: Zum verborgenen Ursprung des Informationswesens in der Chemie. In: LIBREAS.Library Ideas 6(2010)2,17
- Good faith collaboration : the culture of Wikipedia / Joseph Michael Reagle (Cambridge, Mass.: MIT Press, 2010) und weitere Bücher zum Thema Wikipedia im TUHH-Bestand
Zum erwähnten Paul Otlet ist am 20.7.2011 eine schöner Artikel bei Spiegel Online erschienen.