Zur Idee des Quizes „Sichten auf Wissenschaft“
Die mit der Software H5P erstellte Anwendung (Michael Heinemann hatte zuerst bezüglich einer möglichen Realisierung der Idee auf H5P hingewiesen) nutzt das Personality Quiz Modul von H5P. Man könnte diese Anwendung auch einen „Wissenschaft-O-Maten“ nennen.
Ursprung der Idee war ein Aufsatz in einem Buch zur Naturwissenschafts-Diadaktik aus dem Jahre 1998: Cobern, William W. u. Cathleen C. Loving: The Card Exchange. Introducing the Philosophy of Science (In: The Nature of Science in Science Education. Rationales and Strategies. Hrsg. von William F. McComas. Bd. 5. Dordrecht: Kluwer Academic Publishers 1998. S. 73–82). Mit einem Kartenspiel, in dem die einzelnen Karten unterschiedliche Statements über Wissenschaft enthalten, wobei hier mit „science“ Naturwissenschaft gemeint ist, tauschen sich Studierende über diese aus. Diese Statements entstammen dabei sechs unterschiedlichen Sicht auf Wissenschaft.
Für das Quiz war nun die Idee, Nutzenden nach und nach Aussagen über Wissenschaft oder Wissenschaften anzubieten und sie jeweils zu fragen, welcher Aussage über Wissenschaft sie am ehesten zustimmen würden. Am Ende wird ihnen aus den ausgewählten Antworten eine Sicht auf Wissenschaft angeboten, die zu diesen ausgewählten Aussagen am besten passen könnte.
Vom Prinzip her sollte das so funktionieren wie ein Wahl-O-Mat (den Hinweis auf diesen hat Birte Schelling gegeben) und darauf neugierig machen, welche anderen Sichten auf Wissenschaft(en) es auch noch gibt.
Ziel des Quizes
Reflexion über Wissenschaft ist unverzichtbarer Teil der Lehre zum wissenschaftlichen Arbeiten und Schreiben. Eine kritische Sicht auf wissenschaftliches Arbeiten als Teil von Bildung umfasst ein grundlegendes Verständnis des Funktionierens von Wissenschaft, ein Verständnis darüber, wie die unterschiedlichen Wissenschaften zu ihren Erkenntnissen und Ergebnissen kommen. Dazu gehören Fragen danach, welche Chancen aber auch welche Grenzen Wissenschaften bieten, welche unterschiedlichen Sichten auf Wissenschaft(en), welche unterschiedlichen Methoden möglich sind u.a.
Der Einsatz dieses Quiz in einer Lehrveranstaltung oder als Selbst-Lern-Werkzeug kann folgende Ziele bzw. Lernziele haben:
- Durch das Lesen der Ausagen über Wissenschaft(en), zu deren Kennzeichen, über wissenschaftliche Tätigkeiten, über Wissenschaftlichkeit und Realität wird den Lernenden bewusst, dass Wissenschaft unterschiedlich erfahren bzw. verschieden wahrgenommen werden kann.
- Lernende werden zum Nachdenken über unterschiedliche Perspektiven auf Wissenschaft(en) angeregt.
- Das Durchspielen des Quizes bietet Lernenden Anregungen, um danach in Partner- oder Gruppenarbeit unterschiedliche Sichten auf Wissenschaft(en) auszutauschen.
Der didaktisch-theoretische Hintergrund des Wissenschaft-O-Maten wird auch im folgenden, bisher nur als Preprint publizierten Text deutlich:
Thomas Hapke: Wissenschaft und Offenheit : Reflexion über Wissenschaft als Teil der Lehre zum wissenschaftlichen Arbeiten und Schreiben. In: Praxishandbuch Schreiben in der Hochschulbibliothek, herausgegeben von Willy Sühl-Strohmenger und Ladina Tschander. Berlin: De Gruyter, 2019.
Erstes Anwendungs-Szenario
Im Rahmen des Bachelor-Seminars „Wissenschaftliches Arbeiten“ im Wintersemester 2018/19 wurde der Wissenschaft-O-Mat in der ersten Veranstaltung des wöchentlichen Seminars (Gruppe A) am 15.10.2018 erstmals in der Lehre ausprobiert.
Im 2. Teil des Termins nach einer Übersicht zum Seminar und zu den zu erbringenden Studienleistungen sowie einer Kurz-Vorstellung von Tools zum kollaborativen Arbeiten wurde unter dem Titel „Sichten auf Wissenschaft“ im Rahmen eines Partner-Interviews die Frage „Was ist für Sie ein wichtiges Kennzeichen von Wissenschaft?“ gestellt. Nach dem Zusammentragen der Ergebnisse im Plenum wurde mit dem Bild „Auf den Schultern von Riesen“ (Newton, Google Scholar) ein weiteres Nachdenken über Wissenschaft provoziert.
Mit der Fragestellung „Was ist Ihre Sicht auf Wissenschaft?“ sollten als Vorbereitung für eine Gruppenarbeit alle Teilnehmenden mit einem netzfähigen Endgerät (Smartphone oder Laptop) und dem den „Wissenschaft-O-Maten“ zunächst sich ihre Sicht auf Wissenschaft bewusst machen, bevor sie in Gruppen von 3 bis 5 Studierenden sich ihrer Sichten gegenseitig vorstellen und diskutieren.
Im Plenum berichteten dann die Gruppen, deren Teilnehmenden sich dabei auch den anderen im Seminar vorstellten (Semester, Name, Fachgebiet) von den Gruppen-Diskussionen. Dabei war die „ausgewogene Sicht“ die am häufigsten genannte, gefolgt von der „empirischen“ Sicht. Auch die Sicht auf „Wissenschaft als Ideal – Szientismus“ sowie eine „Konstruktivistische oder kulturell bestimmte und kritische Sicht“ wurde jeweils einmal genannt.
Ein Kollege asu dem Kreis der Lehrenden der Gruppe B hatte nach Ausprobieren des Tools die Anmerkung
„‚Wissenschaft – Ausgewogene Sicht: Wissenschaft ist ein komplexes Gebilde, das mehrere Sichten zulässt und nicht auf einfache Beschreibungen reduziert werden kann.‘ Hmmm… ist das jetzt gut oder schlecht? :o)“
Das ist genau die Frage, um die es beim Bewusstmachen von Sichten zur Wissenschaft geht, es gibt eben nicht die Sicht, genauso wie es nicht die Wissenschaft gibt.