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#OAWeek2024: Wie die Wissenschaft beim Publizieren die Fäden wieder in die Hand nimmt

Das Motto der diesjährigen Open Access Week „Community over Commercialization“ stellt eine zentrale Frage in den Vordergrund: Wem gehört (wissenschaftliches) Wissen? In einer Zeit, in der wissenschaftliche Verlage den Kommunikationsprozess von Forschungsergebnissen dominieren (entweder durch teure Abonnementmodelle oder nun zunehmend durch Publikationsgebühren), bietet scholar-led publishing einen Weg, wie die Wissenschaftscommunity die Kontrolle über Forschung und Publikation zurückgewinnen kann. Der Beitrag ist in folgende Abschnitte eingeteilt:

Inspiriert wurde der Beitrag durch eine Umfrage der Universitätsbibliothek (TUB) der Technischen Universität Hamburg (TUHH) im April 2024, in der Teilnehmende vermehrt die Frage aufwarfen, was genau wissenschaftsgeleitete (scholar-led) Zeitschriften auszeichnet. Die Umfrage, die sich an Professor*innen und Oberingenieur*innen der TUHH richtete, zielte darauf ab, die Publikationsbedürfnisse der Forschenden zu ermitteln. Mit diesen Erkenntnissen möchten wir als TUB bei der Planung eines potenziellen Hamburger Diamond-Open-Access-Publikationsservice in Zusammenarbeit mit anderen Hamburger Hochschulen die Bedarfe von TUHH-Angehörigen bestmöglich einbringen. Weitere Details zur Umfrage können Abschnitt 3 entnommen werden.

1. Community statt Profitorientierung: Was scholar-led publishing bedeutet

Scholar-led publishing steht in einem starken Kontrast zu kommerziellen Verlagsmodellen, bei denen große Verlage die wissenschaftliche Kommunikation dominieren und hohe Kosten sowohl für Autor**innen als auch für Leser**innen erheben. Während kommerzielle Verlage oft hohe Gewinne erzielen, indem sie Forschungsergebnisse unter anderem hinter Paywalls verstecken oder hohe Publikationsgebühren (siehe auch: “Open-Access-Glossar” > “APC”) verlangen, setzt scholar-led publishing auf die Wissenschaftsgemeinschaft selbst.

Im Kern bedeutet scholar-led publishing, dass Wissenschaftler*innen nach Möglichkeit die Verantwortung für den kompletten Publikationsablauf übernehmen, was unter anderem die Erstellung, den Review-Prozess und die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen beinhaltet. Scholar-led-Initiativen werden von der wissenschaftlichen Gemeinschaft getragen und nicht von gewinnorientierten Unternehmen. Der Fokus liegt auf der Verbreitung von Wissen und der Förderung der Wissenschaft, anstatt auf finanziellen Interessen.

2. Warum scholar-led publishing die Idee von „Community over Commercialization“ verkörpert

Mehr Kontrolle durch die Wissenschaftscommunity:
Bei kommerziellen Verlagen bleibt der größte Teil der Kontrolle – von der Artikelauswahl bis hin zur Höhe der Publikationsgebühren – in den Händen der Verlage. Scholar-led publishing gibt diese Kontrolle zurück an die Forschenden. Sie entscheiden bspw., wie der Peer-Review-Prozess gestaltet wird, wie ein Artikel veröffentlicht und verbreitet wird und unter welchen Bedingungen dies geschieht.

„Community over Commercialization“ bedeutet hier, dass die Wissenschaftsgemeinschaft stärker über ihre eigenen Inhalte entscheidet und sich den wirtschaftlichen Zielsetzungen profitzentrierter Verlage widersetzt.

Offener Zugang für alle:
Ein zentraler Aspekt von scholar-led publishing ist der freie Zugang zu wissenschaftlicher Literatur. Anders als bei kommerziellen Modellen, bei denen mitunter hohe APCs erhoben werden, setzen viele scholar-led-Projekte auf fairen kostenfreien bzw. angemessen bepreisten Open Access. Das bedeutet, dass Forschungsergebnisse für möglichst viele Menschen zugänglich sind und Forschende – unabhängig davon, ob sie einer finanzstarken Institution angehören oder nicht – ihre Ergebnisse publizieren können.

„Community over Commercialization“ bedeutet hier, dass Wissen möglichst breit geteilt und nicht gewinnorientiert verkauft wird. Es geht darum, wissenschaftliche Ergebnisse weltweit zugänglich zu machen, ohne Barrieren zu errichten.

Transparenz und Fairness:
In scholar-led-Initiativen sind die Publikationsprozesse oft transparenter und offener gestaltet als bei kommerziellen Verlagen. Peer-Review-Prozesse sind gerechter und werden von Wissenschaftler*innen betrieben, die das Ziel verfolgen, qualitativ hochwertige Forschung zu fördern – und nicht, wie es bei kommerziellen Verlagen oft der Fall ist, finanzielle Interessen zu bedienen.

„Community over Commercialization“ bedeutet, dass die Prozesse hinter der wissenschaftlichen Kommunikation offen und fair sind, und dass sie von der Community für die Community gesteuert werden.

3. Einblick in ausgewählte Ergebnisse der Umfrage “Zeitschriften in Hamburg publizieren”

Auch für die TUHH und ihre Forschenden bietet scholar-led publishing die Möglichkeit, die eigene Forschung zugänglicher zu machen und aktiv zur globalen Wissenschaftsgemeinschaft beizutragen. Vor allem die Gründung neuer Fachzeitschriften, um Forschung auf eine möglichst faire und transparente Form zu veröffentlichen, ist dabei natürlich nicht frei von Herausforderungen. Im Rahmen einer Umfrage hat die TUB Bedarfe und Anforderungen von Forschenden der TUHH erfasst, um den potenziellen Aufbau eines Diamond-Open-Access-Publikationsservices für Hamburger Hochschulen zu unterstützen. Ziel dieser Initiative ist es, nicht nur den Anteil frei zugänglicher Publikationen zu erhöhen, sondern auch ein vielfältiges und egalitäres Open-Access-Ökosystem zu fördern. Nachfolgend führen wie einige ausgewählte Ergebnisse dieser Umfrage auf:

  • 19 Teilnehmer*innen füllten die Fragebögen vollständig aus
  • In diesen gaben 18 Umfrageteilnehmer*innen an (94,7 %), das grundsätzliches Interesse an wissenschaftsgeleiteten Zeitschriften besteht
  • 13 Teilnehmende (68,4 %) würden in einer wissenschaftsgeleiteten Publikation publizieren bzw. die Publikation empfehlen, jeweils 3 Teilnehmende (15,8 %) antworteten auf diese Frage mit “Nein” oder “Sonstiges”
  • Innerhalb der Teilnehmenden hat eine Person über die Herausgabe einer eigenen Zeitschrift diskutiert, diese Pläne jedoch wieder verworfen.
  • Eine hamburgweite Publikationsinfrastruktur für wissenschaftsgeleitete Zeitschriften würde für TUHH-Angehörige durchaus von Interesse sein, allerdings ist dies abhängig von den Vorteilen gegenüber etablierter Journals sowie der Ausgestaltung des Serviceangebots
  • Auf die Frage “Ist eine Erweiterung auf Bücher, Konferenzen oder andere Formate für Sie sinnvoll?” wurden überwiegend “Konferenzen” in den Freitextantworten hervorgehoben, aber auch “Workshops” erwähnt
  • Eine Rolle in den Freitextantworten spielen auch Herausforderungen für Forschende wie das Ziel, in renommierten, gut sichtbaren Journals zu publizieren und der Aufwand für die internationale Etablierung von neuen (wissenschaftsgeleiteten) Journals
  • Gleichzeitig machten die Teilnehmenden mehrfach auf das vorherrschende Problem aufmerksam, dass ohne die Entwicklung, Etablierung und Unterstützung von Alternativen im Publikationssystem ein Stillstand oder fehlende Bibliodiversität im wissenschaftlichen Publizieren entsteht.
Two bar charts showing responses about interest in and willingness to publish in science-driven journals.
Grundsätzlich gibt es an der TUHH eine positive Einstellung zu wissenschaftsgeleiteten Zeitschriften.

4. Eine Zukunft in den Händen der Wissenschaftsgemeinschaft

Scholar-led publishing ist mehr als nur ein alternativer Publikationsweg – es ist ein Schritt hin zu einer Wissenschaft, die von der Community für die Community betrieben wird. Indem Forschende die Kontrolle über ihre eigenen Veröffentlichungen übernehmen, schaffen sie ein System, das auf den Prinzipien von Offenheit, Fairness und Gemeinschaft beruht.

Unterstützung und Beitrag zur Open-Access-Bewegung

Die TUHH hat die Chance, aktiv Teil dieser Bewegung zu sein, indem sie die eigenen Forschenden bei Bedarf unterstützt und zur globalen Open-Access-Bewegung beiträgt, indem durch scholar-led publishing auch ein Beitrag zur Bibliodiversität im System des wissenschaftlichen Publizierens geleistet wird. „Community over Commercialization“ bedeutet letztlich, dass Wissenschaft nicht zur Ware wird, sondern ein freies Gut bleibt, das allen zugutekommt.

Best-Practice-Beispiel

Verschiedene Initiativen zeigen, dass scholar-led publishing nicht nur möglich, sondern auch nachhaltig sein kann. Ein Beispiel für qualitativ hochwertige geisteswissenschaftliche Forschung im Open Access ist die “Open Library of Humanities” (OLH). Diese veröffentlicht Forschungsergebnisse, die der wissenschaftlichen Gemeinschaft frei zugänglich sind.

Handreichungen für Interessierte: Perspektiven und Praxistipps

Von Interesse für Forschende, die sich intensiver mit dem wissenschaftsgeleiteten Publizieren auseinander setzen wollen können auch nachfolgende sechs Handreichungen mit Perspektiven und Praxistipps sein. Diese wurden von mehr als 50 Publikations-Expert*innen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz erstellt. Sie wurden im Rahmen des BMBF-geförderten Projekts Scholar-led Plus am Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft veröffentlicht. In diesen geht es unter anderem um Technik und Infrastruktur, Urheberrecht und Datenschutz sowie Arbeitsabläufe und Workflows.

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