Die “Doomsday Clock”, eine symbolische Uhr auf der Titelseite der Zeitschrift “Bulletin of the Atomic Scientists” (“Berichtsblatt der Atomwissenschaftler”), soll die Größe des Risikos einer globalen Katastrophe verdeutlichen. In den ersten Jahrzehnten der Zeitschrift sollte dadurch vor allem auf die Gefahren eines Atomkrieges hingewiesen werden. Denn gegründet wurde die bis heute existierende Zeitschrift im Dezember 1945 nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki von Wissenschaftlern des Manhattan-Projektes.
Heute spielen für die Stellung der Zeiger der Uhr neben der Problematik der Atomwaffen auch die Herausforderungen des Klimawandels, der Biotechnologie und anderer moderner Entwicklungen der Technik eine Rolle.
Zugriff auf die Zeitschrift
- Die Zeitschrift ist von 1945 bis 1998 frei im Netz verfügbar.
- Von 1999 – 2015 ist die Zeitschrift im Rahmen einer Nationallizenz im Intranet der TUHH beim Verlag Sage zugänglich. Die erste Ausgabe von 2015 gibt historische Rückblicke während die letzte Ausgabe des Jahres als “Special issue: Surveying the future on the 70th anniversary of the founding of the Bulletin of the Atomic Scientists” die oben genannten Themen umfasst, die die aktuelle Stellung der Zeiger mit bestimmen.
- Seit 2016 ist die Zeitschrift beim Verlag Taylor & Francis nicht mehr komplett online zugänglich im TUHH-Intranet.
Themen aus dem Bulletin
Das Bulletin (heutige Website) war von Anfang an eine Zeitschrift, die die Wechselwirkungen zwischen Wissenschaft und Gesellschaft thematisierte, wobei in den 60er Jahren immer stärker auch die mit der Entwicklung von Wissenschaft und Technik einhergehenden Umweltbelastungen einen Platz fanden.
Dazu im Folgenden ein Blick auf einige historische Ausgaben und deren Autoren aus den sechziger und siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts, die auch in den Vitrinen in der Rotunde der TUHH-Bibliothek ausgelegt sind [Die Links in den eckigen Klammern führen direkt zur betreffenden Heftausgabe des Bulletins]:
- Der Mitbegründer des Bulletins, Eugene Rabinowitch (1901 – 1973), ein in Deutschland ausgebildeter Biophysiker, der 1933 emigrierte und im 2. Weltkrieg beim Manhattan-Projekt mitarbeitete, war auch einer der Teilnehmenden an der ersten “Pugwash Conference on Science and World Affairs“. Bei diesen Konferenzen diskutieren internationale Wissenschaftler Fragen der nuklearen Bedrohung und globalen Sicherheit. Aufsatz von Eugene Rabinowitch behandelte Pugwash in der [Ausgabe April 1965].
Ein aktueller Aufsatz zum Wirken von Rabinowitch: Slaney, Patrick David (2012): Eugene Rabinowitch, the Bulletin of the Atomic Scientists, and the Nature of Scientific Internationalism in the Early Cold War. In: Historical Studies in the Natural Sciences 42 (2), S. 114–142. DOI: 10.1525/hsns.2012.42.2.114 (Nach Anmeldung bei JSTOR frei lesbar.).
- Die Hauptthemen auf dem Titelblatt der November-Ausgabe von 1965 sind heute immer noch aktuell: Die Frage nach der Qualität von Wissenschaft und die Frage, wie Mechanismen des Gehirns ausgenutzt werden können, um das Lernen zu erleichtern [Ausgabe November 1965].
- Auch die Verbesserung der Wissenschaftskommunikation war schon ein Thema [Ausgabe Februar 1966]. In der [Ausgabe April 1966] ist ein Beitrag von Alvin M. Weinberg enthalten, der schon 1963 den sogenannten Weinberg-Report mit dem Titel “Science, Government, and Information” verfasste. Dieser von Erich Pietsch ins Deutsche übersetzte Bericht (TUB-Exemplar) hatte großen Einfluss auf die Wahrnehmung der Notwendigkeit der Verbesserung der Informationsvermittlung und -versorgung weltweit.
- Umweltthemen spielen früh eine Rolle im Bulletin: Angefangen beim Thema Reaktorsicherheit [Titelblatt Oktober 1974] bis zu Berichten von der Weltumweltkonferenz 1972 in Stockholm [Ausgabe September 1972] und zu einer Diskussion des Buches “The Closing Circle” [Ausgabe Mai 1972] des Mitbegründers der amerikanischen Umweltbewegung Barry Commoner.
- In der [Ausgabe Februar 1975] wird die Rolle “The Scientist in Politics” in mehreren Beiträgen behandelt, darunter ein Beitrag zum sogenannten Franck-Report. Der deutschstämmige Physiker James Franck hatte sich mehrere Wochen vor Hiroshima und Nagasaki mit anderen, darunter Rabinowitch, gegen die Anwendung von Atombomben im Krieg gegen Japan ausgesprochen.
- Jahrestage und besondere Ereignisse führten dazu, dass im Bulletin umfangreiche Bewertungen technischer Entwicklung hinsichtlich ihrer politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen vorgenommen wurden. Zwei Beispiele:
- Anlässlich des 25. Jahrestages des ersten jemals durchgeführten Kernwaffentest “Trinity” im Juli 1945 behandelte das gesamte Heft des Bulletin [Ausgabe Juni 1970] die politischen, militärischen sowie forschungs- und umweltbezogenen Auswirkungen von Kernenergie.
- Die erste Mondlandung im Dezember 1968 war Anlass für ein Heft zu den politisch-gesellschaftlichen Auswirkungen dieses Ereignisses [Ausgabe September 1969].
- Die [Ausgabe Oktober 1978] erschien mit einer Abbildung der Friedensnobelpreisträgerin von 1905 Bertha von Suttner. Das Editorial war ein Ausschnitt aus ihrer Nobelpreis-Rede. Im Rahmen einer Serie wurden hier auch andere Friedensnobelpreisträger im Bulletin gewürdigt.
Teil dieser Reihe war mit der [Ausgabe März 1979] aber auch Albert Einstein, dessen hundertjähriger Geburtstag 1979 war und der sich – obwohl nicht Friedensnobelpreisträger – zum Thema Frieden mehrfach öffentlich geäußert hat, u.a. auch im Bulletin: zwei Aufrufe im [Januar 1948] und im [Dezember 1948] sowie ein [Aufsatz im Februar 1952]
Berühmte Physiker im Bulletin
<
ul>
<li>Der Physiker und Nobelpreisträger <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Werner_Heisenberg" title="Wikipedia"><strong>Werner Heisenberg</strong></a>, der auf deutscher Seite am Atombombenprojekt der Nationalsozialisten mitgearbeitet hatte, ist mit seinen Erinnerungen im Bulletin vertreten [<a href="https://books.google.ca/books?id=EwcAAAAAMBAJ&pg=PA32&hl=de&source=gbs_toc_r&cad=2#v=onepage&q&f=false">Ausgabe November 1970</a>].<br />
<
ul>
Die in den Vitrinen ausliegenden Hefte wurden dem Autor dieses Beitrages von Prof. Volker Kasche überlassen. Prof. Kasche ist emeritierter Professur für Biotechnologie an der TUHH, studierte und forschte bis 1971 an der Universität Uppsala in Schweden, war zwischendurch in den 60er Jahren “NATO research fellow” an der Brandeis University (Waltham, Massachusetts, USA), wo er auch die hier vorgestellte Zeitschrift kennenlernte. Vor seiner Tätigkeit an der TUHH war er Professor für Physikalische Biologie an der Universität Bremen.
Nachdenken über Wissenschaft als Teil der Hochschulausbildung
Die Hefte des “Bulletin of the Atomic Scientists” erlauben einen authentischen Rückblick in die Geschichte des Verhältnisses zwischen Wissenschaft, Technik, Politik und Umwelt im 20. Jahrhundert. Welche Wechselwirkungen von Wissenschaft mit Philosophie, Geschichte, Wirtschaft und Politik wurden schon damals beschrieben und diskutiert. Viel Aktuelles ist hier neu in der Vergangenheit zu entdecken.
Die [Ausgabe Oktober 1968] des Bulletin enthält Vorträge von einem Symposium mit dem Titel “Science and the human condition”, das im November 1967 in Urbana, Illinois stattfand. Gefordert wurde schon damals, dass im Rahmen von Hochschulausbildung nicht nur die jeweilige Wissenschaft selbst thematisiert wird, sondern immer auch Aspekte, die Wissenschaft selbst zum Thema machen, Teil des Curriculums sind, etwa ein Nachdenken über das Funktionieren von Wissenschaft und ihre Rolle in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft.