Publizieren – ein Fallbeispiel

Wissenschaft ohne Kommunikation ist keine Wissenschaft. Die wichtigste Form der Kommunikation in den Wissenschaften ist die Publikation.

Alle Wissenschaft Treibenden träumen davon, einmal einen Artikel in Nature oder in Science zu veröffentlichen. Beide Zeitschriften gehören zu den weltweit am meisten zitierten wissenschaftlichen Zeitschriften und haben – wie man sagt – einen hohen Impact-Factor.

Journals Ranking 2012 JCRDer Impact-Factor zu einer bestimmten Zeitschrift z.B. für das Jahr 2012 (siehe obige Abbildung aus dem Journal Citation Reports 2012) beschreibt das Verhältnis von der Anzahl der Zitate im Jahre 2012 von Artikeln der betreffenden Zeitschrift in den beiden Vorjahren (hier also 2010 und 2011) zur gesamten Anzahl der Artikel, die die jeweilige Zeitschrift in den beiden Vorjahren veröffentlicht hat.

Pressemitteilung TUHH: Mikrobiologen enttarnen rätselhafte „Comammox“-Mikroben
Der an der TUHH arbeitende Mikrobiologe Bernd Bendinger war an einer Publikation beteiligt, die Ende 2015 Jahres in der Zeitschrift Nature erschienen ist. Am Heiligabend, am 24.12.2015, erschien der Artikel in seiner endgültigen Version, nachdem der Artikel vorab am 26. November 2015 online gestellt wurde.

Dieser im Intranet der TUHH zugängliche Aufsatz beschreibt die Entdeckung eines Mikroorganismus genannt Comammox-Nitrospira, in dem die komplette Nitrifikation, also die Umwandlung von Ammoniak bzw. Ammoniumionen zu Nitrat in einem Organismus abläuft. Bekannt war bisher, dass dieser Stoffwechselweg auf zwei Bakteriengruppen aufgeteilt war. Es wurden ammonium-oxidierende und nitrit-oxidierende Bakterien unterschieden.

Daims, H.; Lebedeva, E. V.; Pjevac, P.; Han, P.; Herbold, C.; Albertsen, M.; Jehmlich, N.; Palatinszky, M.; Vierheilig, J.; Bulaev, A.; Kirkegaard, R. H.; Bergen, M. von; Rattei, T.; Bendinger, B.; Nielsen, P. H.; Wagner, M. Complete nitrification by Nitrospira bacteria. Nature 2015, 528 (7583), 504–509. DOI: 10.1038/nature16461 .

Weitere Hintergründe bieten eine Pressemitteilung der TUHH sowie ein kurzer, eher journalistisch gehaltener Beitrag in der gleichen Ausgabe der Zeitschrift Nature (Kuypers, M. M. M. Microbiology: A division of labour combined. Nature 2015, 528 (7583), 487–488. DOI: 10.1038/528487a ).

Dieser Artikel kann über das Fachliche hinaus als ein Parade-Beispiel für moderne Forschungsaktivitäten angesehen werden. Er beschreibt exemplarisch, wie Wissenschaft heute arbeitet.

  • Wissenschaft ist heute selten das Ergebnis der Forschung von Einzelpersonen.
    Der hier betrachtete Aufsatz wurde von insgesamt 16 Autoren verfasst.
     
  • Wissenschaftliche Forschung erfolgt immer mehr institutionenübergreifend.
    Insgesamt waren 7 verschiedene Institutionen beteiligt, wobei die Federführung in diesem Beispiel bei der Universität Wien lag.
     
  • Wissenschaft ist das Ergebnis internationaler Teamarbeit.
    Neben österreichischen waren hier auch WissenschaftlerInnen aus Dänemark, Deutschland und Russland beteiligt.
     
  • Wissenschaftliche Arbeitsgruppen konkurrieren miteinander.
    Parallel zu der Wiener Gruppe hatten auch niederländische ForscherInnen den beschriebenen Mikroorganismus entdeckt. Vorbildlich an dem Beispiel dieser Entdeckung ist es, dass beide Forschergruppen sich abgestimmt haben und die Ergebnisse der NiederländerInnen in der gleichen Nature-Ausgabe publiziert werden konnten: van Kessel, Maartje A. H. J.; Speth, D. R.; Albertsen, M.; Nielsen, P. H.; Op den Camp, Huub J. M.; Kartal, B.; Jetten, M. S. M.; Lücker, S. Complete nitrification by a single microorganism. Nature 2015, 528 (7583), 555–559. DOI: 10.1038/nature16459 . Prioritäts-Streitigkeiten gab es in der Geschichte der Wissenschaften genug.
     
  • Ausschnitt aus einer Abbildung in Nature mit Zoom-Effekt

    Ausschnitt aus einer Abbildung in Nature mit Zoom-Effekt

  • Wissenschaftliche Publikation ist nicht mehr auf gedruckte Medien beschränkt.
    Dieses reicht schon lange nicht mehr aus, wissenschaftliche Ergebnisse nachvollziehbar darzustellen. Das PDF zum hier betrachteten Artikel umfasst 20 Seiten. Nach den in der gedruckten Ausgabe enthaltenen Seiten 504 bis 509 kommen weitere mit der Beschreibung der Methoden sowie mit den detaillierten Abbildungen, die natürlich auch in der HTML-Version des Artikels enthalten sind. Denn auch Visualisierung ist heute ein wichtiger Teil von Forschung. Technische Hilfsmittel wie ein Zoom erlauben eine genaue Betrachtung von Abbildungen.
     
  • Wissenschaftliche Publikation umfasst auch die Publikation von Forschungsdaten. Dabei werden heute umfangreiche Forschungsdaten, wie z.B. DNA-Sequenzen, nicht im Artikel abgedruckt, sondern in öffentlichen Datenbanken separat publiziert.
    Im Abschnitt „Accession codes“ sind Links zum European Nucleotide Archive angegeben, wo die gefundenen Nukleotidsequenzen in einer internationalen Datenbank abgelegt wurden. Am Ende der HTML-Version des Artikels findet man unter „Supplementary information“ Dateien (u.a. im Excel-Format) mit weiteren Daten zur Veröffentlichung.
     
  • Wissenschaft ist ein Gespräch, das niemals aufhört.
    Bald drei Monate nach der Veröffentlichung gibt es schon erste Zitate des hier exemplarisch betrachteten Artikels. So hat die Konkurrenz zu Nature, die Zeitschrift Science, einen kurzen Bericht publiziert: Santoro, A. E. The do-it-all nitrifier. Science 2016, 351 (6271), 342–343. DOI: 10.1126/science.aad9839 (Achtung, die Zeitschrift Science ist an der TUHH nicht online verfügbar, sondern kann im oberen Lesesaal der TU-Bibliothek unter der Signatur NAZ-104 eingesehen werden).
     

    Schon einen Monat nach der Online-Veröffentlichung erschien ein Artikel, der ebenfalls die Entdeckung der Comammox-Nitrospira beschreibt und die Arbeiten der österreichischen und niederländischen Arbeitsgruppen zitiert.

    • Pinto, Ameet J.; Marcus, Daniel N.; Ijaz, Umer Zeeshan; Bautista-de lose Santos, Quyen Melina; Dick, Gregory J.; Raskin, Lutgarde; Hallam, Steven J. (2015): Metagenomic Evidence for the Presence of Comammox Nitrospira -Like Bacteria in a Drinking Water System. In: mSphere 1 (1), S. e00054-15. DOI: 10.1128/mSphere.00054-15 .
      mSpehre ist ein neu gegründetes Open-Access-Journal der American Society for Microbiology (ASM). Der Artikel hat den Autoren wahrscheinlich je nach Mitgliedschaft in der ASM zwischen 2250 und 3000 US $ als Publikationsgebühr gekostet.
       

    Weitere Artikel, die drei Monate nach Erschienen des Nature-Artikels der Wiener Gruppe diesen zitieren:

     

  • Publizieren in einer wissenschaftlichen Zeitschrift kann Geld kosten.
    Siehe die Angaben zu den Publikationsgebühren für die obigen Artikel.

Am Rande bemerkt: Dienstleistungen der TU-Bibliothek zum Publizieren umfassen neben dem Angebot eines Open Access Repository (TUBdok) auch Beratung zu den Themen Literaturverwaltung, Open Access, Urheberrecht sowie Publikationsbewertung und Zitatanalyse.

Danke an Bernd Bendinger für wertvolle Hinweise und die Beratung zu diesen Text. Etwaige Fehler sind aber dem Autor anzulasten.