Die Podiumsdiskussion mit dem Titel „Was ist wissenschaftliches Schreiben und wozu brauche ich das?“ am Beginn der 1. „Kleinen Nacht des wissenschaftlichen Schreibens“ an der TU Hamburg-Harburg verband nachdenkliche Statements mit einer spannenden Diskussion zur Frage des Wozu des Schreibens in den Ingenieurwissenschaften.
Auf dem von Anne Rose Sanderink (Zentrale Studienberatung TUHH, FinishING-Projekt) moderierten Podium saßen die TUHH-Professoren Gerold Schneider (Physiker und Leiter des Instituts Keramische Werkstoffe) und Christian H. Kautz (Physiker und Leiter der Arbeitsgruppe Fachdidaktik der Ingenieurwissenschaften) sowie Timo Lüth (Zentrum für Lehre und Lernen der TUHH (ZLL)) und Matthias Buntenkötter (Zentrale Studienberatung der TUHH / Schreibberatung).
Das Folgende versucht die Diskussion aus persönlich geprägter Wahrnehmung eines an der Vorbereitung der Kleinen Nacht beteiligten Zuhörers zusammenzufassen:
Erste Erfahrungen mit dem wissenschaftlichen Schreiben machen Studierende der Ingenieur- und Naturwissenschaften oft während der Praktika, wenn es ums Schreiben von Protokollen geht. Die Frage nach den persönlichen Erfahrungen, wie man wissenschaftliches Schreiben gelernt hat, zeigt oft, dass dies implizit „by doing“ und selten systematisch angeleitet erfolgt.
Aber was ist nun ein wissenschaftlicher Text? Für Prof. Kautz sind nicht unbedingt Zitate eine wesentliches Kennzeichen, sondern die Argumentation mit begründeten Aussagen und die Orientierung am Wahrheitsgehalt dieser Aussagen. Primär sei für Wissenschaft das Denken, welches lange vor dem Schreiben losgehe, so Prof. Schneider. Schon allein eine relvante Frage zu stellen (Was will ich eigentlich wissen?), sei oft nicht einfach! Auch beim Schreiben von Anträgen für Forschungsprojekte z.B. bei der DFG ist besonders die Hypothese bzw. Fragestellung und deren Begründung wichtig. Schreiben ist „ein Mittel, sich selbst klar zu machen, was man eigentlich will“, knüpft Timo Lüth an. Während des begründenden Schreibens in der Wissenschaft müsse man darlegen, warum man etwas so und nicht anders macht. Für Matthias Buntenkötter ist das Bezugnehmen auf Andere ein wesentliches Kennzeichen wissenschaftlichen Schreibens. Auch Verständlichkeit der Texte sei wichtig.
Jeder Zeitschriftenartikel in den Natur- und Ingenieurwissenschaften ist gleich aufgebaut. Hier ist ein relativ starres Schema vorgegeben: Abstract, Einleitung, Methoden und Materialien, Ergebnisse und Diskussion. Das Schwierigste ist nach Prof. Schneider die Diskussion, in der erklärt und begründet werden muss, welche neuen Erkenntnisse der Artikel liefert. Auch die Zusammenfassung sei oft nicht einfach!
Für Prof. Schneider ist die Kommunikation über Forschungsergebnisse wichtig, um seine Gedanken zu klären, egal ob als Präsentation oder im Gespräch. Beides diene auch als Vorbereitung für den Schreibprozess. „Gedanken kommen erst beim Schreiben“, so Prof. Kautz. Gerade beim Schreiben werden Gedanken geordnet, man schaut sich die gemessenen Daten nochmals an und bekommt vielleicht weitere Ideen für Neues. Durch die schriftliche Wiedergabe entwickelt sich also das Denken.
Kommunikationsporzesse werden durch das Schreiben unterstützt oder gar erst angeregt. Anne Rose Sanderink spricht von Kommunikation mit dem Text, für Matthias Buntenkötter ist gerade die Kommunikation über den Schreibprozess wichtig! Ein gängiges Problem bei der Erstellung wissenschaftlicher Arbeiten ist es für Timo Lüth, dass das Schreiben dem eigentlichen Forschungsprozess oft nachgelagert ist. Dies muss nicht sein. Schreiben ist ein iterativer, dialogischer Prozess, der von Anfang an ein Teil jeder Forschungsaktivität sein kann (z.B. in der klassischen Form des Labor-Buches oder Forschungs-Tagebuches, egal ob elektronisch oder konventionell).
Wie und wo wird Schreiben gelernt? Für das Schreiben braucht es Erfahrungsräume, Möglichkeiten, sich beim Schreiben auszuprobieren und dann auch Fehler machen zu können und aus diesen zu lernen. Im Rahmen der Kleinen Nacht wurde übrigens in einem Workshop mit dem Titel „Schreiben in der ingenieurwissenschaftlichen Lehre“ gemeinsam darüber nachgedacht, wie das Schreiben in die Lehre der Ingenieurwissenschaften besser integriert werden könnte. Der schon erwähnte Praktikumsbericht kann z.B. als Übung genutzt werden und ein erster Anfang sein.
Ja, eigentlich ist Schreiben auch ein wichtiger Teil eines Lernprozesses, betonte Prof. Kautz. Es hilft oft schriftlich darzulegen, was und wie in einem bestimmten Zeitraum und Thema gelernt wurde (Stichwort Lerntagebuch oder ePortfolio). So ist eventuell auch eine (Selbst-)Diagnose des eigenen Lernprozesses möglich, und es werden eventuelle Schwächen sichtbar.
Es gibt Ingenieur-Studierende, die dieses Studium gewählt haben, um nicht schreiben zu müssen. Trotzdem werden sie auch in ihrem Berufsleben nicht um das Schreiben herumkommen. Leider war ein für das Podium eingeladener Verteter aus der Industrie verhindert. Schreibkompetenz von Ingenieuren werde für Prof. Schneider immer wichtiger, um z.B. Wissenschaft in der Öffentlichkeit zu erklären. Schwierig sei hier es, bei einem Verzicht auf die Fachsprache trotzdem die fachliche Richtigkeit zu bewahren. Es ist heutzutage auch im Berufsalltag wichtig, schnell einen guten Bericht zu einem Thema schreiben zu können. Aus dem Publikum wurde die Notwendigkeit des Schreibens von Gutachten hervorgehoben.
Die Veranstaltung hatte als kurzweilige Podiums-Diskussion ohne platte, gänzlich vorbereitete Statements das Potential, das Nach- und Weiterdenken der Beteiligten und Zuhörenden anzuregen. Beim nächsten Mal sollten vielleicht auch Studierende auf dem Podium von ihren Erfahrungen mit dem Schreiben an der TUHH berichten, da dann die konkreten Erfahrungen und Herausforderungen bei der Erstellung von Bachelor- und Master-Arbeiten sichtbarer werden würden.
Thomas Hapke, Universitätsbibliothek
Pingback: TUHH Universitätsbibliothek: Eindrücke von der Kleinen Nacht