## Digitale Tools - Fluch oder Segen (Ein Essay) ### von Lilian Gabel Möglichst viel lernen – in möglichst kurzer Zeit. Möglichst effektiv lernen – mit möglichst geringem Aufwand. Effizienz und Konzentration stehen an der Tagesordnung ganz weit oben, wenn ich in der Bibliothek der Universität sitze. Immer dabei habe ich meinen Laptop, auf dem ich eine aufgezeichnete Vorlesung im Studentenforum anschaue, die ich leider verpasst habe, da ich zu dem Zeitpunkt mit einem anderen Uni-Projekt beschäftigt war. Nebenbei fasse ich Notizen aus heutigen Vorlesungen zusammen und sichere sie digital ab und tippe hin und wieder mir nicht bekannte Begriffe in Google ein. Dank des Dual-Windows ist Multitasking keine Seltenheit mehr. Und obwohl ich so viel zu tun habe und so viel beschäftigt bin, so schweifen meine Gedanken hin und wieder ab. Einen Blick auf das Mobiltelefon zu werfen, das stets neben mir liegt - einsatzbereit - scheint sehr verlockend. Auf meinem Laptopbildschirm poppt derweil eine Benachrichtigung auf: schon wieder eine neue E-Mail. Sollte ich sie öffnen? Ist es vielleicht etwas Dringendes? Eine Benachrichtigung zu einer ausfallenden Vorlesung oder eine Nachricht eines Kommilitonen bezüglich einer gerade laufenden Gruppenarbeit? Oder vielleicht eine Nachricht von der Arbeit? Sollte ich mich von meiner jetzigen Arbeit ablenken lassen, da es vielleicht doch so wichtig sein könnte? So oder so ähnlich laufen einige Lerntage tatsächlich ab, obwohl dies kein Paradebeispiel sein sollte. Durch die immer weiter voranschreitende Digitalisierung und die weit umfassende Menge an digitalen Tools steht uns Studierenden heutzutage das Tor zur Wissenschaft offen – beispielsweise in Form des Internets. Hierbei ist aber Vorsicht geboten. Die Anonymität im World Wide Web geht nicht selten mit wenig fundiertem Wissen einher, welches auch nicht zwangsläufig evident sein muss. Ebenso sollte man sich vor tückischen Ablenkungen am Computer hüten. Denn so hilfreich die Suchmaschinen auch sein können, nicht selten gelangt man in seinem Lernprozess auf Abwegen, die einen geradewegs zu einem interessanten Youtube Tutorial führen. Die Abwärtsspirale der Prokrastination ist hiermit eröffnet worden. Nun ist dies auch etwas überspitzt. Hinter dem Internet verbergen sich natürlich nicht nur Fallen der Prokrastination. Meine Generation ist mit dem selbstverständlichen Zugang zu Online-Lexika und Co. groß geworden. Präsentationen für die Schule habe ich seit der fünften Klasse mit Hilfe digitaler Tools und digitaler Wissensquellen bewältigt. Für mich sind sie fester Bestandteil des Lernens und auch meines Alltags so weit ich mich erinnern kann. Sie sind nicht mehr wegzudenken. Eine Recherche einzig und allein basierend auf Literatur? Dies ist für mich eine Seltenheit, das gebe ich zu. Ich denke, dass ich in meiner Generation damit auch nicht alleine dastehe. Ich erinnere mich zu gerne an die Vorgaben damals in der Schule, die von den Lehrern gestellt worden waren, wenn es um das Recherchieren ging: „Bitte benutzt mindestens drei Literaturquellen! Und kein Wikipedia!“ Die Internetquellen haben für uns, die Generation Y, nie ein Problem dargestellt. An die Literaturrecherche hielt man sich in dem Alter nur widerwillig. Die Digitalisierung – ist sie nun ein Fluch oder ein Segen? Ich persönlich bin den größten, wenn nicht sogar den allergößten Teil meines Lebens quasi „digital“ aufgewachsen. So bleibt mir nicht sehr viel übrig, als die Digitalisierung als Segen zu bezeichnen. In gewisser Hinsicht erlebe ich die digitalen Möglichkeiten als immensen Vorteil beim Lernen. Man erhält schnellen Zugang zu breitem Wissen, Videos, Erfahrungen und Ideen. Man muss sie nur gut filtern und einzusetzen wissen. Darüber hinaus erleichtern digitale Kommunikationsmittel einen schnellen gegenwärtigen Austausch mit Kommilitonen und ermöglichen das reflektierende Miteinander in Form von Forumsdiskussionen. Ebenso lässt sich organisatorisch sehr viel online bewältigen. Stets habe ich alles mit in der Uni dabei und das auf einem einzigen Endgerät. Ich kann problemlos Wissen aus vorherigen Semestern abrufen, Dateien verändern und wieder abspeichern. Ein Blick auf eingescannte Formelsammlungen hilft mir auch heute bei Modulen des höheren Fachsemesters. So gesehen habe ich immer ein individuelles Sammelsurium an Wissenschaft in meiner Unitasche dabei – blöd nur, wenn der Akku meines Laptops den Geist aufgibt und ich das Ladekabel nicht dabei habe. Dann ist man regelrecht aufgeschmissen. Als Studentin bedeuten diese Möglichkeiten für mich eine Flut an Informationen. Ziel ist es dabei meistens Alles kompakt auf einen Blick zu haben. Zu filtern, zu priorisieren und zu vereinfachen. Termine, Deadlines und Veranstaltungen möglichst geschickt zu verwalten. Mein digitaler Kalender ist meist voll. Die schnelle und gute Organisation bedeutet auch, dass man sich manchmal übernimmt. Sich zu viel vornimmt. Und dabei bleiben der Einfall und die Kreativität nicht selten auf der Strecke. Heutzutage geht alles immer schneller, man muss funktionieren und Fristen einhalten. Zeitgleich mehrere Projekte parallel jonglieren und sich in kürzester Zeit Wissen aneignen. Da frage ich mich, wann ich das letzte Mal ein gutes Buch zur Hand hatte oder einfach mal meinen Gedanken freien Lauf und freie Zeit gönne. Mal nicht an die und jene Deadline oder Klausur achdenken, sondern die Gedanken schweifen lassen. Meiner Meinung nach hat es einen Grund, wieso ich gerade dann die besten Einfälle habe, wenn ich mit leerem Akku meines Mobiltelefons am Bahnsteig warte oder unter der Dusche stehe. Wenn man gezwungenermaßen nicht der Digitalisierung ausgesetzt ist, steigen der Einfallsreichtum und die Neugierde. Und das schafft meiner Meinung nach Wissen. Das ist für mich Wissenschaft. Nämlich selbst Einfälle und Ideen zu kreieren, anstatt die Sinne durch ein Überangebot an Fachwissen im Netz zu überstimulieren. Ich finde, einen großen Teil des Lernens sollten diese freien Gedankengänge ausmachen. In der Wissenschaft, die sich auf mein Studienleben beschränkt, ist dies natürlich nicht immer der Fall. Denn wenn man nicht gerade das Rad neu erfinden möchte, sondern für die nächste Matheklausur zum zehnten Mal dieselbe Formel beweisen muss, hat das nicht unbedingt viel mit Kreativität und Ideenreichtum zu tun. Nichtsdestotrotz kann es sehr erfrischend sein, einen Stift in die eine und ein Blatt Papier in die andere Hand zu nehmen und einfach darauf loszuschreiben oder zu rechnen – ohne Rücksicht auf Fehler. **Weiternutzung als OER ausdrücklich erlaubt: Dieses Werk und dessen Inhalte sind - sofern nicht anders angegeben - lizenziert unter CC BY 4.0. Nennung gemäß TULLU-Regel bitte wie folgt: "Digitale Tools – Fluch oder Segen (Ein Essay)" von Lilian Gabel, Lizenz: CC BY 4.0.**