Texte besser verstehen mit KI-„Copilot“? Workflow und Gedanken zur Kombination von Zotero und SciSpace
Wissenschaftliche Texte sind nicht immer leicht zu verstehen. Neben verschiedenen Lesemethoden wie PQ4R (Fragen an einen Text stellen) oder dem kursorischen Lesen (ein Text wird Schritt-für-Schritt gelesen) und Notiztechniken wie dem Cornell-System sowie anderen Strategien zur Notizenerstellung können dabei auch digitale Werkzeuge helfen.
In diesem Beitrag wird dafür die Kombination von Zotero und SciSpace beschrieben. Diese war auch Thema in der Veranstaltung „Kein Chaos, kein Vergessen, kein Plagiat – besser schlafen dank Literaturverwaltung“ am 15.02.2023 im Rahmen der Workshop-Reihe „Collect, Write, Publish“. Da aus zeitlichen Gründen nicht umfassender diskutiert werden konnte, sind einige Ideen, Gedanken und Anregungen in den vorliegenden Blogbeitrag geflossen.
Während Zotero seit vielen Jahren als DAS Open-Source-Literaturverwaltungsprogramm gilt, handelt es sich bei SciSpace um eines von vielen KI-unterstützten Tools, die im Zuge des Hypes um ChatGPT in den vergangenen Wochen und Monaten in Wissenschaft und Forschung rege diskutiert werden. Mehr oder weniger auf Knopfdruck kann SciSpace (potenziell) schwer verständliche Texte in einfachere Worte mit zusätzlichen Informationen „übersetzen“.
Der Text behandelt nachfolgend zwei Themen:
- A. Eine Schritt-für-Schritt-Anleitung für den Workflow zwischen Zotero und SciSpace.
- B. Reflexion über den Einsatz von KI-Tools zur Forschungsunterstützung.
A. Schritt-für-Schritt-Anleitung zur Kombination von Zotero und SciSpace
1. Bevor wir uns SciSpace anschauen, öffnen wir Zotero (Beschreibung der Schritte basiert auf Zotero 6.0.21, macOS). Mit einem Klick auf „Datei“ und „Neue Sammlung“ erstellen wir einen neuen Ordner. Dieser wird „0_SciSpaceTestflug“ genannt. Natürlich kann hier beim parallelen Mitmachen auch ein – für das jeweils individuelle Forschungsvorhaben – thematisch passenderer Titel gewählt werden.
2. Haben wir bereits PDF-Volltexte heruntergeladen und in Zotero gesammelt, so können wir diese nun per Drag-and-drop in unseren neu angelegten Ordner „0_SciSpaceTestflug“ schieben. Wenn keine Volltexte zur Verfügung stehen, können wir bspw. auf TORE (TUHH Open Research) die Funktion des Durchstöberns nutzen, um Artikel zu sammeln. Ich habe hier nach „Informationskompetenz“ gesucht und anschließend zur Einschränkung am rechten Bildschirmrand über die Facettierung lediglich „publications“ ausgewählt. Da die Anzahl der Treffer mit 43 überschaubar ist, überfliege ich die Trefferliste und wähle aus Eigeninteresse den Titel „Informationskompetenz 2.0 und das Verschwinden des Nutzers“ aus.
Alternativ können auch Fachdatenbanken, Google Scholar oder andere Suchwerkzeuge verwendet werden. Um ein weiteres PDF für die Zotero-Sammlung zu finden, recherchiere ich über Google Scholar nach „information literacy“ und nehme wie schon bei TORE einige (häufiger zitierte) Veröffentlichungen über den Zotero Connector in die Sammlung „0_SciSpaceTestflug“ auf. Die Funktion des Zotero Connectors und andere Möglichkeiten des Hinzufügens von Literatur in Zotero ist umfassender im Beitrag Einstieg in die Literaturverwaltung – Zotero in 7 Schritten beschrieben.
Schauen wir in unseren Ordner in Zotero, so sollten nun mehrere Titeleinträge mit angehängten PDF-Volltexten zur Verfügung stehen.
3. Jetzt rufen wir die Webseite von SciSpace auf. Um SciScpace zu nutzen, benötigen wir einen Account. Dazu klicken wir auf „Sign Up“.
4. Nach der Einrichtung des Accounts wählen wir auf der SciSpace-Seite „My Library“ aus.
5. Hier lässt sich auf der linken Fensterseite eine neue Sammlung über Auswahl von „+“ und Bestätigung der Benennung generieren. Die Nutzung dieser Funktion ist allerdings nur erforderlich, wenn keine Verknüpfung zwischen Zotero und SciSpace hergestellt werden soll.
6. Am rechten Bildschirmrand befindet sich die Option „Import from Zotero“. Nach Klick auf diese erscheint ein Fenster, um die Verbindung zwischen SciSpace und Zotero herzustellen („Connect to Zotero“).
7. Nach Klick auf „Connect to Zotero“ ist der Login in den eigenen Zotero-Account erforderlich.
Zotero fragt anschließend nochmals bzgl. der Verbindung zu SciSpace, was mit Klick auf „Accept Default“ bestätigt werden muss, wenn die Einrichtung der Verbindung fortgesetzt werden soll.
8. Die Verbindung zwischen Zotero und SciSpace ist eingerichtet und SciSpace öffnet eine Auswahl für den Import von Zoterosammlungen. Wir wählen die extra eingerichtete Sammlung „0_SciSpaceTestflug“ und klicken unten rechts auf den orangen „Import“-Button.
9. Der Ordner und die darin enthaltenen PDF-Volltexte befinden sich nun auch in unserer SciSpace-Bibliothek. Es kann jetzt ein beliebiger Artikel im eingerichteten Ordner per Mausklick geöffnet werden.
Nach einem Mausklick wird nicht nur der Artikel selbst, sondern auch der „Copilot“ geöffnet. Dieser kann unser Textverständnis bei Bedarf (potenziell) unterstützen.
10. Verstehen wir beim ersten Anlesen zum Beispiel bestimmte Wörter, Ablaufbeschreibungen und Ähnliches in einem wissenschaftlichen Text nicht, so können wir diese Textstelle markieren. Nun haben wir zwei Optionen:
- Mit Klick auf „Text hervorheben“ erscheint ein Fenster, indem eine Farbe für die Textmarkierung gewählt und zusätzliche Anmerkungen manuell erstellt werden können.
- Mit Klick auf „Explain text“ „übersetzt“ SciSpace ausgewählte Textabschnitte in andere Worte mit zusätzlichen Erläuterungen oder erklärt auch einzelne Begrifflichkeiten. Noch offene Fragen und Unklarheiten lassen sich über Folgefragen mithilfe eines Klicks auf „Ask a follow up question“ klären:
11. Mit Klick auf „Explain math & table“ und Markierung der gewünschten Stelle mit dem Auswahlwerkzeug lassen sich auch weitere Dokumentbestandteile wie Formeln oder Tabellen durch die Copilot-Funktion erschließen.
12. Die Notizen in SciSpace lassen sich unter dem Copilot-Fenster mit einem Klick auf „Save as note“ in SciSpace abspeichern. Bestätigt wird das Abspeichern im nachfolgenden Fenster mit einem erneuten Klick auf „Save“.
Für die Arbeit mit Notizen empfiehlt es sich jedoch, im Rahmen der eigenen Literatursammlung in Zotero mit Notizen zu arbeiten (siehe Schritt 13).
13. Sollen ein „besonders gelungener“ Austausch oder Notizen zwischen uns und dem Copiloten festgehalten werden, so kann dies über den Notizeneditor in Zotero geschehen. Dazu öffnen wir den eben in SciSpace bearbeiteten Text in Zotero (Doppelklick auf PDF oder Literatureintrag) und heben den Begriff oder Textabschnitt mit dem Textmarkierungswerkzeug und Auswahl einer Markerfarbe hervor.
14. Zotero legt im linken Annotationsfenster eine Annotation an. Bei dieser haben wir die Möglichkeit, zusätzliche Kommentare anzuhängen („Kommentar hinzufügen“).
15. Die gewünschten Informationen in SciSpace kopieren wir mit den gängigen Tastaturkürzeln (Windows: Strg+C, Strg+V; macOS: Command+C, Command+V) und fügen diese in Zotero als Kommentar bei der jeweiligen Annotation ein.
Hinsichtlich der guten wissenschaftlichen Praxis sollte dem Kommentar ggf. noch ein Hinweis auf den Ursprung der Definition für eine eventuelle Weiterverarbeitung und kritische Auseinandersetzung angehängt werden. Im abgebildeten Beispiel ist dies über ein Tag erfolgt.
16. Nach diesem Schema lassen sich ggf. ganze Artikel durchdringen, sodass am Ende die relevanten Informationen und Zusammenhänge verstanden werden. Wie die aus diesem Prozess entstehenden Anmerkungen den Weg in unsere PDF-Eintragsnotizen in Zotero oder in einen Textentwurf in Programmen wie Word oder LibreOffice schaffen, ist Schritt für Schritt im Beitrag Mehr Zeit für die Forschung: Schritt-für-Schritt-Anleitung für den PDF-Reader und Notizeneditor von Zotero 6 beschrieben.
Mit Blick auf unterschiedliche Lehrveranstaltungen im vergangenen Semester könnte das oben beschriebene Vorgehen bspw. eine gute Ergänzung im Methoden- und Werkzeugkoffer von Studierenden (und natürlich auch Forschenden) in unterschiedlichen Studien- und Karrierestufen sein. Zum einen, um sich einen schnellen Überblick über (neue oder sich schnell entwickelnde) Fachgebiete zu verschaffen. Zum anderen aber ganz konkret durchaus auch, um zum Beispiel Literatur-Reviews zu erarbeiten oder einfach den ersten Schritt zur Auseinandersetzung mit einem Thema zu gehen und eventuelle Lern-, Lese- oder Schreibblockaden zu lösen.
B. Reflexion über den Einsatz von KI-Tools zur Forschungsunterstützung.
Die Verständlichkeit wissenschaftlicher Publikationen hängt von verschiedenen Faktoren ab. Es ist immer möglich, dass stilistische und rhetorische Eigenheiten von Autor*innen den Zugang zu wertvollen Erkenntnissen erschweren. Gleichzeitig kann es sein, dass Leser*innen (noch) nicht den erforderlichen Wissensstand in der Domäne einer Publikation haben oder es auch (noch) an den Kompetenzen mangelt, überhaupt Texte zu erschließen. Tara Westover, die in ihrem Buch „Befreit“ eindrucksvoll den eigenen Bildungsweg aus ihrer wissenschaftsfeindlichen Familie hin zu einer erfolgreichen Promotion in Cambridge beschreibt, kommt bezüglich besagter Kompetenzen zu dem Schluss:
Rückblickend erkenne ich, dass das meine Bildung war, diejenige, die wichtig war: die Stunden, die ich an einem geliehenen Schreibtisch saß und mühevoll schmale Stränge mormonischer Lehre in Nachahmung meines Bruders analysierte, der mich verlassen hatte. Die Fertigkeit, die ich mir aneignete, war wesentlich: die Geduld, Dinge zu lesen, die ich noch nicht verstand (Westover, Tara, 2020, Befreit, 4. Auflage, Kiepenheuer & Witsch, S. 98).
Ohne Frage kann es ein Gewinn sein, mithilfe von Tools wie SciSpace besser zu verstehen, worum es in (wissenschaftlichen) Texten geht. Fragen ließe sich allerdings, ob es sich hierbei um eine Abkürzung handelt, die auch eine Kehrseite hat. Wenn Geduld eine Tugend ist, dann kann die Praxis des Lesens auch zunächst unverständlicher Texte der Anlass sein, sich in dieser Tugend zu üben. Prellen sich Studierende um den Erwerb einer für Bildung zentralen Fertigkeit, wie Westover es sieht, wenn sie sich beim Leseverständnis von Algorithmen helfen lassen?
Mit der Lesekompetenz eng verbunden ist im akademischen Zusammenhang die Schreibkompetenz. Der äußerst hilfreiche Vergleich von Ted Chiang „ChatGPT Is a Blurry JPEG of the Web“, dass es sich beim Sprachmodell hinter ChatGPT um ein in der Auflösung reduziertes Abbild der Wirklichkeit handele, motiviert hier einen weiteren Gedanken: Tools wie SciSpace reduzieren die „Auflösung“ wissenschaftlicher Texte, indem sie das Wesentliche einer Passage oder eines Begriffs herausstellen und so den Blick auf das Wesentliche freimachen können. Damit einher geht eine Zunahme von blurryness, die – und das wäre auf lange Sicht zu beweisen – von Vorteil ist, weil sie eben helfen kann, komplizierte Sachverhalte besser zu verstehen. Wenn es aber ums Schreiben geht, ist eine „Erhöhung der Auflösung“ gefragt, zunächst unscharfe Gedanken müssen im Schreibprozess klar und deutlich in Worte gefasst werden, um den Erkenntnisprozess von Forschung möglichst verlustfrei zwischen Subjekten teilen zu können. Auch dieser Prozess erfordert Geduld und stellt die Ausbildung wesentlicher Fertigkeiten dar, worauf auch John Warner in Why They Can’t Write hinweist (auch im Bestand der TUB verfügbar).
Die epistemischen Grenzen von Anwendungen wie SciSpace werden mit einem Blick in die technischen Zusammenhänge deutlich. Sprachmodelle werden bisher aus einem finiten Pool von Texten trainiert. Der Vorgang ist sehr zeit- und energieaufwändig. Die Geschwindigkeit und Menge von Forschungspublikationen kann in diesem Prozess nicht abgebildet werden. Daher entstehen die Erläuterungen, die Tools wie SciSpace anbieten, immer mit einer den Forschungsstand betreffenden Latenz und qualitativer Unvollständigkeit. Aber deshalb solche Tools für Studium und Forschung auszuschließen, lässt sich nicht rechtfertigen. Denn auch der Wissensstand von Kommiliton*innen in höheren Semestern und Hochschullehrenden, die ich um eine Erklärung eines unverständlichen Textes bitte, kann veraltet und unvollständig sein. Daher ist hier nicht die Frage zu stellen, ob Menschen oder Maschinen besser sind, um Wissenschaft zu erklären.
Auf lange Sicht kann vielleicht eher der folgende Gedanke leitend sein: KI-Systeme verfügen (noch) nicht über eigene empirische Zugänge zur Welt. Sie generieren ihre Ausgaben auf Basis von Statistik und lernen nicht in einem konstruktivistischen Sinne. Sie sind, wie Daniel Kehlmann sagt, „Zweitverwerter“ von Weltwissen und damit angewiesen auf die Vermittlung von „Welt“ durch uns Menschen. Wenn es also nicht auf lange Sicht zu einem qualitativen Generationsverlust in den Trainingsdaten kommen soll, dann braucht es weiterhin originären Content im Netz, der Eingang in neue Trainingsprozesse von KI-Modellen findet. Dieser entsteht durch Menschen, die gut in generativen Prozessen wie bspw. dem Schreiben sind und sich dabei möglicherweise von KI helfen lassen könnten, die Strukturen vorschlägt oder Formulierungsvarianten anbietet.
Die Worte von Tara Westover weisen auf den Akt der Nachahmung hin, der in Lernprozessen eine wichtige Rolle spielt. Sie sieht ihren Bruder viel Zeit verbringen mit dem Lesen und schließt daraus, dass es so sein muss, wenn man Schriften verstehen will. Es könnte daher von Bedeutung sein, welches Bild Vorbilder im Hochschulkontext in Zukunft vom Lesen und Lernen vermitteln. Ist Eile geboten oder liegt auch Potenzial in der Langsamkeit?
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