„No limits“ für digitale Wissenschaft und Kultur? – Nachbericht zum stARTcamp Hamburg meets HOOU

So muss die Ruhe vor dem Sturm aussehen: früh morgens könnte man auf dem Campus Finkenau eine Stecknadel fallen hören. Keine Menschenseele weit und breit. Ruhe. Nur ein Vogel tummelt sich auf dem saftigen Grün der Campusanlage. Nichts, aber wirklich gar nichts lässt vermuten, dass hier gleich mehr als 100 Vertreter_innen aus Bildung, Kultur und Wissenschaft zusammenkommen, um sich auszutauschen und zu diskutieren. Über Digitalsierung. Änderungen von Lebensgewohnheiten. Herausforderungen und Chancen von Lehre und Lernen.

Inspirational Keynote

Wenige Meter vom Altbau der Hochschule entfernt liegt das Forum Finkenau. Der Veranstaltungssaal im modernen Glastrakt der Hochschule. Prof. Dr. Martin Zierold hält hier die Inspirational Keynote zur Eröffnung des stARTcamp meets HOOU 2019. Blaues Licht ziert die Wände und Vorhänge rund um die Bühne. Blau. Eine Farbe die Besonnenheit, Objektivität, Neutralität und Klarheit repräsentiert – eine Farbe die Vertrauen einflößt und ein Gefühl der Sicherheit vermittelt. „We are totally fucked, aren’t we?“ schallt es kurze Zeit später durch den gut besuchten Veranstaltungsraum. Gespannte Blicke wandern Richtung Bühne, wo Zierold gerade den „depressiven Teil“ seiner Keynote abschließt. Er thematisiert die Krise, in der sich Kultur und Wissenschaft aktuell befänden und führt u.a. Michael Goves Aussage aus dem Jahr 2016 an: „I think people […] have had enough of experts„. Doch wer, wenn nicht Experten, soll Antworten auf die zahlreichen Herausforderungen unserer Gesellschaft finden, so Zierold weiter. Man könne sich auch die Frage stellen, welchen Anteil Wissenschaft und Kultur an gegenwärtigen Gesellschaftskrisen haben und was Jede und Jeder von uns zur Krisenbewältigung beitragen könnte. Ist die Digitalisierung vielleicht Teil des Problems oder Teil der Lösung? Sicher könne man sich auf jeden Fall sein, das kein Bereich alleine die anstehenden Herausforderungen lösen kann.

„No limits?!“ – zahlreiche Sessions zum digitalen in Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft

Und so widmeten sich der Frage – wie der noch lange nicht abgeschlossene digitale Wandel u.a. in Bildungs- und Kultureinrichtungen zielfördernd umgesetzt werden kann – neben Martin Zierold auch die zahlreichen Angebote der Veranstaltung stARTcamp meets HOOU 2019. Bei der Mischform aus Konferenz und Barcamp wurden unter dem Motto „No limits?! – Wissenschaft und Kultur für allealleine mehr als 20 Sessions angeboten.

Sessionplan stARTcamp meets HOOU 2019

Das Programm des stARTcamps wurde durch Themenvorschläge aus dem Publikum mitgestaltet.

Zu den Themen gehörten neben Podcasts in der Wissenschaft u.a. virtuelle Realität in Kultureinrichtungen und Lehre, ethische Fragen zur Digitalisierung sowie die Kommunikation mit Zielgruppen von Bildungseinrichtungen. Für Teilnehmer_innen gab es somit zahlreiche Optionen zur individuellen Gestaltung des Veranstaltungstages. Auf den Fluren und in den Sessions fand ein reger Austausch statt. Anhänger_innen von unterschiedlichen Offenheitsbewegungen und Projektmacher_innen erlaubten Einblicke in das Thema Offenheit im Kontext ihrer Aktivitäten und so konnten Interessierte sich viele Anregungen und Ideen für Offenheit und Digitalisierung im Kontext von Wissenschaft, Kultur, Bildung sowie Lehre und das Lernen mitnehmen. Einiges ist in der folgenden Liste festgehalten. Es lohnt sich aber auf jeden Fall auch den Hashtag #schh19 für weitere Informationen durchzusehen:

1. Podcasts ausprobieren

Christian Friedrich und Matthias Stier gaben Anfängern und Fortgeschrittenen in der Session „Macht mehr Podcasts“ viele nützliche Tipps und Tricks. So hörte ich u.a. das erste Mal von der Podcast-Online-Community Sendegate (im Grunde ein Forum, in dem in Sub-Threads zu verschiedenen Aspekten von Podcasting Austausch statt findet) und auch viele der empfohlenen Podcasts kannte ich bisher nicht. Zudem konnte man direkt vor Ort erste Erfahrungen mit potentiellem Podcast-Equipment sammeln. Die komplette Präsentation ließ sich lange über Google Docs downloaden. Besonders interessant war auch der Austausch zwischen Publikum und Podcast-Experten zu möglichen Podcastkonzepten. Für mich scheinen Podcasts für bestimmte Lerntypen auf jeden Fall das Potential zu haben, Inhalte verständlicher zu vermitteln.

Christian Friedrich und Matthias Stier gaben zahlreiche Tipps, die angehende Podcaster_innen beachten sollten.

2. Virtual Reality in Kultureinrichtungen

Auf den Fluren des stARTcamps gab es die Möglichkeit, in die virtuelle Realität abzutauchen. Das HOOU-Projekt „Orgel VR“ der Hochschule für Musik und Theater (HfMT Hamburg) ermöglichte Besucher_innen das Bauen ihrer eigenen virtuellen Orgel. Dabei konnte ich nach Aufsetzen der Brille zwischen zwei unterschiedlichen, virtuellen Bauumgebungen wählen. Statt einer alten Kathedrale entschied ich mich für eine eher futuristische Szenerie. Nach einer kurzen Akklimatisierung (es ist schon ungewohnt am virtuellen Körper runterzuschauen und die eigenen virtuellen Hände zu sehen) ging es auch schon los. In einem virtuellen Werkzeugkasten gab es neben fertigen Sets unterschiedliche Materialien, Farben und Formen, um die eigene Kreativität im Orgelbau auszuleben. Ich denke, durch die Immersion könnten sich auch abstraktere Konzepte der Wissenschaft besser vermitteln lassen. Hochschulen könnten ihre Entwicklung historisch nacherlebbar gestalten und Bibliotheken ihre Medieninhalte um immersive Inhalte erweitern. Die offene Frage ist, wie viel Aufwand die Produktion von VR-Inhalten in der Realität wirklich erfordert.

3. Social Media in Bildungseinrichtungen – nicht das Nadelöhr sein, Schätze zugänglich machen

Markus Trapp gab Einblicke in die digitale Strategie und Öffentlichkeitsarbeit der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg (SUB). Thematisiert wurde u.a. die verständliche Angst vor Kritik, die sich mit öffentlichen Auftritten in sozialen Medien automatisch erhöht. Viel schlimmer sei es aber, wenn als Kultureinrichtung gar keine Reaktionsmöglichkeit auf Kritik vorhanden sei. Wichtig sei bei der Betreibung von Social-Media-Kanälen in öffentlichen Einrichtungen zudem, dass nicht eine Person als allein entscheidendes Nadelöhr fungiert. Wenn mehrere Kollegen_innen Inhalte beitragen, lässt sich eine breitere, spannendere Bandbreite an internen Schätzen mit der Öffentlichkeit teilen. Die Motivation dafür ist gerade beim Aufbau von Social-Media-Angeboten nicht einfach, da mitunter die Überzeugung fehlt. Markus Trapp versucht diese Herausforderung mit der Weitergabe von Erfolgserlebnissen („Was für tolle Bestände“, „Hast du auf Twitter gesehen…“, „Habe sie auf Twitter gefunden und mich gleich angemeldet“) an die jeweiligen Kollegen_innen zu umgehen. Interessant fand ich neben der Hervorhebung von Social-Media-Kanälen als durchaus geeignetem Bestandteil von Informationsrecherchestrategien die Problematik der knappen Zeitressourcen. Obwohl soziale Medien mittlerweile kaum aus der PR- und Öffentlichkeitsarbeit öffentlicher Einrichtungen wegzudenken sind (u.a. wichtiger Bestandteil in der Abfederung der rückgängigen Reichweite von Pressemeldungen, der allgemeinen Sichtbarmachung der Einrichtungsarbeit sowie Erweiterung der Nutzer_innenarbeit – gerade Ehemalige rufe man sich so wieder ins Gedächtnis), fehlt nicht selten nach wie vor eine Stelle mit ausreichend Kapazität zur adäquaten Betreuung aller Aktivitäten. Die Frage für mich persönlich ist, welche Kanäle für Leser_innen der tub. interessant wären? Wo könnten oder sollten wir die Nutzer_innen über Twitter hinaus „abholen“?

Session Digitalstrategie SUB

Markus Trapp berichtet von der Digitalstrategie der SUB.

4. Was können Open Access und OER voneinander lernen?

Der von Gabi Fahrenkrog und Katharina Schulz angebotene offene Austausch hat besonders eins verdeutlicht: So klar die Begrifflichkeit Openness für die jeweiligen Diskursteilnehmer_innen eigentlich ist, so unklar wird es, wenn Unterstützer_innen verschiedener Offenheitsbewegungen zusammenkommen. Es gibt unterschiedliche Ansätze und Ziele, es gibt aber natürlich auch potentielle Synergien. So könnten OER und Open Access sich gegenseitig unterstützen. Gleichzeitig spricht nichts dagegen, dass die jeweiligen Communities darüber hinaus in unterschiedliche Richtungen wandern. Besonders schwierig sei es überhaupt Einführungstexte zu finden. Sowohl OER als auch Open Access sind davon tangiert. Das Problem der Repositorien (Silocharakter) besteht nach wie vor, während auf jeden Fall Einigkeit darin herrscht, dass Offenheit bereits Bestandteil der Wissenschaft und dem Erlernen ihrer Prozesse sein sollte. Hinsichtlich dem weiteren Diskurs zu den grundsätzlichen Herausforderungen (wie bringt man u.a. alle Offenheitsbewegungen an einen Tisch?) freue ich mich auf einen weiteren Austausch zu diesen Themen auf kommenden Veranstaltungen wie den Open-Access-Tagen 2019 in Hannover.

Ausschnitt zur Mitschrift der Session zu Offenheit, Open Access und OER.

5. Sessions und Veranstaltungen grafisch begleiten – Nachhaltigkeit durch Spaß?

Die einzelnen Sessions und Inputs des stARTcamps wurden visuell dokumentiert (Graphical Recording). Zum einen professionell von zeichnerisch begabten Kollegen_innen, zum anderen aber auch von den jeweiligen Besucher_innen der einzelnen Sessions. Inhalte wurden so durch eine Kombination von Zeichnungen und Texten in meinen Augen in gut nachvollziehbare und verständliche Bildsprache übertragen. Für mich deuten sich hier viele Möglichkeiten an. In eher trockene Protokolle kann so mehr Leichtigkeit und Anschaulichkeit gebracht werden. Ich habe mich beim stARTcamp so beispielsweise durchaus öfter dabei erwischt, gerade bei nicht besuchten Sessions an den ausgestellten visualisierten Protokollen zu verweilen. Einige Inhalte werden so sicherlich stark vereinfacht. Generell machte dieses „Experiment“ auf mich aber durchaus den Eindruck, dass Aussagen gezielter auf den Punkt gebracht werden. Komplette Texte lassen sich so oftmals wohl nicht ersetzen, aber in dieser ergänzenden Form fiel mir der Einstieg in „fremde“ Themen sehr leicht und vieles bleibt durch visuelle Anker besser haften. Vorstellen kann ich mir das Weiternutzen dieses Konzeptes gerade bei langen Konferenzen, Veranstaltungen und Tagungen.

Weitere Fragen zum stARTcamp meets HOOU 2019 oder Ergänzungen zum Thema? Wir freuen uns über einen Austausch.

CC BY 4.0
Weiternutzung als OER ausdrücklich erlaubt: Dieses Werk und dessen Inhalte sind – sofern nicht anders angegeben – lizenziert unter CC BY 4.0. Nennung gemäß TULLU-Regel bitte wie folgt: „No limits“ für digitale Wissenschaft und Kultur? – Nachbericht vom stARTcamp Hamburg meets HOOU (2019)“ von Florian Hagen (tub.), Lizenz: CC BY 4.0.

Was bedeutet eigentlich Open Science?

Bei Diskursen rund um gute wissenschaftliche Praxis fällt oftmals der Begriff „Open Science“. Diese verfolgt etablierte Prinzipien guter wissenschaftlicher Praxis mit Hilfe der Potentiale der Digitalisierung. Neue Techniken ermöglichen so beispielsweise eine neue Form der Zusammenarbeit. Zudem werden bei der Öffnung von Wissenschaft einzelne Arbeitsprozesse zugänglich und transparent gestaltet. Dies begünstigt u.a. die Reproduzierbarkeit von Forschungsergebnissen. Austausch, Kommunikation und Kollaboration zwischen Akteuren_innen aus Wissenschaft, Wirtschaft, Gesellschaft und Politik werden gefördert. In Hamburg widmet sich u.a. das Programm Hamburg Open Science (HOS) den Herausforderungen rund um die Öffnung von Wissenschaft.

Präzisierung des Open Science-Begriffes

Melanie Imming – unabhängige Beraterin im Bereich Open Science – und Jon Tennant – Paläontologe – beschreiben die Offenheitsbewegung der Wissenschaft als „Open Science: just science done right“ (Imming / Tennant 2018). Die Europäische Kommision hebt hervor, dass Open Science ein neuer wissenschaftlicher Prozessansatz sei, der auf kooperativer Arbeit und neuen Wegen der Informationsverbreitung durch Einsatz digitaler Technologien sowie neuer kollaborativer Werkzeuge basiert (vgl. European Commission 2016, S. 33). Die OECD definiert Open Science hingegen als Ansatz „[…] to make the output of publicly funded research more widely accessible in digital format to the scientific community, the business sector, or society more generally“ (OECD 2015, S. 9).

Open Science kann jedoch auch als Oberbegriff – oder „umbrella term“ (vgl. Fecher / Friesike 2013, S. 3) – bezeichnet werden, der verschiedene Offenheitsbewegungen wie Open Access, Open Methodology, Open Data und Open Educational Resources umfasst. Alle verfolgen als gemeinsames Ziel, Wissenschaft einer möglichst großen Gesellschaftsgruppe einfacher zugänglich zu machen. Was genau hinter den einzelnen Offenheitsbewegungen steckt wird nachfolgend über das – in H5P erstellte – offene Bildungsmaterial veranschaulicht.

Anleitung zum OER-Element „Open Science“

  • Das H5P-Element „Open Science“ kann über einen Klick auf das Vollbild-Icon (oben rechts) vergrößert werden
  • Über einen Klick auf die Hotspots (Plus-Symbole) lassen sich Informationen zu den einzelnen Termini aufrufen
  • Die jeweiligen Prinzipien werden mit Texten und AV-Materialien veranschaulicht
  • Durch einen Klick außerhalb des jeweiligen Hotspot-Fensters lassen sich diese wieder schließen
  • Der Vollbildmodus des H5P-Elements kann durch die Esc-Tastaturtaste verlassen werden

Andere Ideen oder Verbesserungsvorschläge zum Open-Science-H5P-Element? Wir freuen uns über Feedback!

CC BY 4.0
Weiternutzung als OER ausdrücklich erlaubt: Dieses Werk und dessen Inhalte sind – sofern nicht anders angegeben – lizenziert unter CC BY 4.0. Nennung gemäß TULLU-Regel bitte wie folgt: Was bedeutet eigentlich Open Science?“ von Florian Hagen (tub.), Lizenz: CC BY 4.0. Die Illustration und das H5P-Element stehen über das TU-Gitlab zum Download zur Verfügung
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